Wallander 02 - Hunde von Riga
die Spannung wie weggeblasen. Wallander brach in Gelächter aus, und Baiba wurde rot. Dann wurde er wieder ernst.
»Ich weiß nicht, ob dir klar ist, daß dies die wahnsinnigste Angelegenheit ist, in die ich jemals verwickelt war«, sagte er. »Ich weiß auch nicht, ob dir klar ist, daß ich mindestens genausoviel Angst habe wie du. Im Gegensatz zu deinem Mann bin ich ein Polizist, der sein ganzes Leben in einer Stadt gearbeitet hat, die nicht viel größer ist als diese hier. Ich habe keine Erfahrung mit schwer durchschaubaren Verbrecherorganisationen und Massakern. Ab und zu bin ich natürlich gezwungen, einen Mordfall zu bearbeiten. Aber die meiste Zeit bin ich hinter besoffenen Einbrechern und entlaufenen Jungstieren her.«
Sie setzte sich neben ihn auf die Bettkante.
»Karlis hat gesagt, daß du ein tüchtiger Polizist bist«, sagte sie. »Er hat erzählt, daß du einen Flüchtigkeitsfehler begangen hast. Aber er fand trotzdem, daß du ein fähiger Polizist bist.«
Wallander erinnerte sich widerwillig an das Rettungsboot.
|305| »Unsere Länder sind so verschieden«, fuhr er fort. »Karlis und ich hatten völlig verschiedene Ausgangspunkte für unsere Arbeit. Er hätte wohl auch in Schweden seinen Mann gestanden, aber ich könnte in Lettland niemals Polizist sein.«
»Du bist es aber jetzt«, sagte sie.
»Nein«, wandte er ein. »Ich bin hier, weil du mich darum gebeten hast. Vielleicht bin ich auch um Karlis’ Willen hier. Im Grunde weiß ich nicht, was ich hier in Lettland zu suchen habe. Nur in einem Punkt bin ich mir sicher. Ich hätte gerne, daß du mit mir nach Schweden kommst, wenn das hier vorbei ist.«
Sie sah ihn erstaunt an.
»Warum das?« fragte sie.
Er wußte, daß er es ihr nicht erklären konnte, weil seine Gefühle noch so widersprüchlich waren.
»Ach, schon gut«, antwortete er. »Vergiß, was ich gesagt habe. Ich muß jetzt schlafen, wenn ich wieder klar denken können soll. Du mußt dich auch ausruhen. Vielleicht ist es das beste, unten an der Rezeption Bescheid zu geben, daß sie in drei Stunden an die Tür klopfen sollen.«
»Das Mädchen wird wieder rot werden«, sagte Baiba, als sie vom Bett aufstand.
Wallander rollte sich unter der Tagesdecke zusammen. Als Baiba zurückkehrte, war er schon fast eingeschlafen.
Als er drei Stunden später wieder erwachte, war es ihm, als habe er nur wenige Minuten geschlafen. Das Klopfen an der Tür hatte Baiba nicht wecken können. Wallander zwang sich, eine kalte Dusche zu nehmen, um die Müdigkeit aus dem Körper zu vertreiben. Als er sich angezogen hatte, dachte er, daß sie ruhig noch weiterschlafen konnte, bis er wußte, was sie als nächstes tun sollten. Auf ein Stück Toilettenpapier schrieb er, daß sie warten solle, bis er zurückkam. Er würde nicht lange fort sein.
Das Mädchen an der Rezeption lächelte ihm unsicher entgegen, und Wallander hatte das Gefühl, daß in ihrem Blick |306| eine Spur von Lüsternheit lag. Als er sie ansprach, stellte sich heraus, daß sie ein wenig Englisch verstand. Wallander wollte wissen, wo er etwas essen konnte, und sie zeigte auf die Tür zu dem kleinen Speisesaal des Hotels. Er setzte sich an einen Tisch mit Blick über den Platz vor dem Hotel. Rund um den Fischstand warteten immer noch einkaufende Menschen, dick verpackt an diesem kalten Morgen. Das Auto stand auch noch dort.
Einer der schwarzen Wagen, die er an der Tankstelle hatte vorbeifahren sehen, parkte an der gegenüberliegenden Seite des Platzes. Er hoffte, daß die Hunde in ihren Autos tüchtig froren.
Das Mädchen von der Rezeption übernahm auch die Rolle der Kellnerin und brachte ihm ein Tablett mit belegten Broten und eine Kanne Kaffee. Während er aß, warf er hin und wieder einen Blick hinaus auf den Platz. In seinem Kopf nahm ein Plan Konturen an. Er war verrückt genug, um schon wieder Chancen auf Erfolg zu haben.
Als er gegessen hatte, ging es ihm wieder besser. Er kehrte auf ihr Zimmer zurück. Baiba war aufgewacht und sah ihn an, als er durch die Tür trat.
Er setzte sich auf die Bettkante und fing an, ihr sein Vorhaben zu erklären.
»Karlis muß zumindest einen Vertrauten unter seinen Kollegen gehabt haben«, sagte er.
»Wir hatten keinen Kontakt zu anderen Polizisten«, antwortete sie. »Wir hatten andere Freunde.«
»Denk nach«, bat er. »Es muß doch jemanden gegeben haben, mit dem er ab und zu einen Kaffee trank. Es muß nicht unbedingt ein Freund gewesen sein. Es reicht, wenn du dich an jemanden
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