Wallander 02 - Hunde von Riga
Wallander ihr eingeschärft, nicht zu zögern, direkt zur Sache zu kommen, die ganze Geschichte einfach zu erzählen. Sie hatten keine andere Wahl. Jetzt ging es um alles oder nichts.
»Entweder er verhaftet dich«, hatte er gesagt. »Oder er macht, was wir von ihm wollen. Wenn du zögerst, könnte er auf die Idee kommen, daß es sich um eine Falle handelt, die ihm einer seiner Vorgesetzten stellt, der seine Loyalität anzweifelt. Du mußt ihm beweisen können, daß du Karlis’ Witwe bist, falls er dein Gesicht nicht wiedererkennt. Du mußt alles so tun und sagen, wie ich es dir erklärt habe.«
Nach gut einer Stunde kam Baiba in die Halle zurück, in der Wallander wartete. Er begriff sofort, daß es geklappt hatte.
In ihrem Gesicht lagen Freude und Erleichterung. Wieder einmal dachte er, wie schön sie war.
Sie berichtete mit gedämpfter Stimme, daß Mikelis große Angst habe. Er wußte, daß er seine ganze Zukunft als Polizist aufs Spiel setzen würde. Vielleicht würde er sogar sein Leben |310| riskieren. Aber sie hatte sehen können, daß er auch erleichtert war.
»Er ist einer von uns«, sagte sie. »Karlis hat sich nicht getäuscht.«
Sie hatten noch ein paar Stunden Zeit, bis Wallander seinen Plan in die Tat umsetzen konnte. Um sich die Zeit zu vertreiben, spazierten sie durch die Stadt, wählten dabei zwei mögliche Treffpunkte aus und gingen weiter zur Universität, an der sie unterrichtete. Wallander schlief in einem leerstehenden Biologiesaal, in dem es nach Äther roch, an einen Glaskasten gelehnt ein, in dem sich das Skelett einer Lachmöwe befand. Baiba kletterte auf einen breiten Fenstersturz hinauf und betrachtete von da aus gedankenverloren den Park. Alles, was es in diesem Augenblick noch gab, war ein erschöpftes, wortloses Warten.
Kurz vor acht trennten sie sich vor dem Biologiesaal. Ein Hausmeister, der seine Runde machte und kontrollierte, ob alle Lampen gelöscht und alle Türen verschlossen waren, ließ sich von Baiba überreden, für einen kurzen Moment die Beleuchtung vor einer der Hintertüren des Universitätsgebäudes auszuschalten.
Als das Licht erlosch, schob sich Wallander schnell zur Tür heraus. Durch den dunklen Park lief er in die Richtung, die Baiba ihm gezeigt hatte, und als er stehenblieb, um wieder zu Atem zu kommen, war er sicher, daß die Hundemeute noch an der Universität war.
Als die Glocken des Kirchturms hinter dem Polizeihauptquartier neun schlugen, betrat Wallander durch die erleuchteten Eingangstüren den Teil der Burg, der für die Allgemeinheit zugänglich war. Baiba hatte ihm eine genaue Beschreibung von Mikelis’ Aussehen gegeben, doch Wallander war erstaunt, daß er noch so jung war. Mikelis wartete hinter einem Schreibtisch. Weiß der Teufel, wie er sich hier unabkömmlich gemacht hat, dachte Wallander und ging dann geradewegs auf |311| ihn zu und begann, sein kleines Schauspiel aufzuführen. Mit lauter und gellender Stimme protestierte er auf englisch dagegen, daß er, ein unbescholtener Tourist, auf offener Straße in Riga ausgeraubt worden war. Diese extrem widerwärtigen Banditen hatten nicht nur sein Geld gestohlen, sondern sich auch an seinem allerheiligsten Besitztum, seinem Paß vergriffen.
Verzweifelt wurde ihm plötzlich klar, daß er einen schicksalsschweren Fehler begangen hatte. Er hatte völlig vergessen, Baiba fragen zu lassen, ob Mikelis überhaupt Englisch sprach. Was geschieht, wenn er nur Lettisch versteht, dachte er verzweifelt. Dann wird er kaum vermeiden können, jemanden hinzuzuziehen, der Englisch versteht, und dann ist alles aus.
Aber zu seiner Erleichterung sprach Mikelis ein wenig englisch, besser als der Major, und als einer der anderen diensthabenden Polizisten an den Tisch herantrat, um Mikelis zu helfen, den lästigen Engländer loszuwerden, wurde er brüsk wieder weggeschickt. Mikelis bedeutete Wallander, ihm in einen benachbarten Raum zu folgen. Die übrigen Polizisten legten zwar ein gewisses neugieriges Interesse an den Tag, wirkten aber nicht so, als seien sie mißtrauisch geworden und wollten Alarm schlagen.
Das Büro war karg eingerichtet und ungeheizt. Wallander saß auf einem Stuhl, und Mikelis betrachtete ihn ernst.
»Um zehn kommen die Polizisten, die Nachtdienst haben«, sagte Mikelis. »So lange kann ich mir durchaus Zeit lassen, bis ich die Anzeige des Überfalls aufgenommen habe. Ich werde außerdem einen Wagen mit dem Auftrag losschicken, nach ein paar Verdächtigen zu suchen, deren
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