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Wallander 02 - Hunde von Riga

Wallander 02 - Hunde von Riga

Titel: Wallander 02 - Hunde von Riga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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weinen.
    »Ich weiß es«, schluchzte sie. »Jetzt verstehe ich endlich, wie er gedacht hat. Als wir uns kennengelernt haben, hat er mir immer Kartentricks vorgeführt. Als er jung war, hatte er nicht nur davon geträumt, Ornithologe zu werden. Er hatte auch mit dem Gedanken gespielt, Zauberer zu werden. Ich bat ihn, mir seine Tricks beizubringen. Er weigerte sich. Es wurde zu einem Spiel zwischen uns. Er zeigte mir nur einen einzigen seiner Kartentricks, den einfachsten von allen. Man teilt das Spiel in zwei Hälften, alle schwarzen Karten auf den einen, alle roten auf den anderen Stapel. Dann bittet man jemanden, eine Karte zu ziehen, sie sich zu merken und danach wieder zurückzustecken. Dazu hält man die andere Kartenspielhälfte hin, so landet eine rote Karte zwischen den schwarzen oder eine schwarze zwischen den roten. Er sagte sehr oft, daß ich sein Leben in einer grauen Welt der Trostlosigkeit erleuchten würde. Aus dem Grund suchten wir immer nach einer roten Blume zwischen den blauen oder gelben, wir suchten ein grünes Haus zwischen weißen. Das Spiel war unser Geheimnis. Daran muß er gedacht haben, als er sein Testament versteckte. Ich nehme an, daß das Archiv voll verschiedenfarbiger Ordner ist. Irgendwo gibt es eine Mappe, die von den anderen abweicht, vielleicht in der Farbe oder in der Größe. Darin befindet sich, wonach wir suchen.«
    »Das Polizeiarchiv muß sehr groß sein«, sagte Wallander.
    »Manchmal, wenn er verreiste, legte er ein Kartenspiel auf mein Kissen, in dem eine rote Karte zwischen die schwarzen gesteckt war«, fuhr sie fort. »Selbstverständlich gibt es in dem Archiv auch eine Akte über mich. In ihrer Nähe hat er unbemerkt seine fremde Karte versteckt.«
    Es war halb sechs. Sie hatten das Ziel noch nicht erreicht, aber sie glaubten nun zu wissen, wo es lag.
    |300| Wallander streckte seine Hand aus und berührte ihren Arm.
    »Ich möchte, daß du mit mir nach Schweden fährst«, sagte er auf schwedisch.
    Sie sah ihn verständnislos an.
    »Ich habe gesagt, daß wir uns ausruhen müssen«, erklärte er. »Wir müssen von hier verschwinden, bevor die Morgendämmerung hereinbricht. Wir wissen nicht, wohin wir gehen sollen. Wir wissen noch nicht, wie wir den schwierigsten aller Zaubertricks vollbringen und in das Polizeiarchiv hineinkommen sollen. Darum müssen wir uns jetzt ausruhen.«
    Im Schrank lag unter einer alten Mitra eine zusammengerollte Decke. Baiba breitete sie auf dem Boden aus. Als wäre es die natürlichste Sache der Welt, krochen sie eng zusammen, um sich warm zu halten.
    »Schlaf«, sagte er. »Ich muß mich nur ein wenig ausruhen. Ich werde mich wachhalten. Ich wecke dich, wenn wir gehen müssen.«
    Er wartete eine Weile.
    Aber es kam keine Antwort.
    Sie war schon eingeschlafen.

|301| 17
    Kurz vor sieben verließen sie die Kirche.
    Wallander mußte Baiba stützen, die vor Müdigkeit halb bewußtlos war. Es war noch dunkel, als sie sich auf den Weg machten. Während sie neben ihm auf dem Boden schlief, hatte er darüber nachgedacht, was sie jetzt zu tun hatten. Er wußte, daß er allein entscheiden mußte. Baiba würde ihm kaum noch helfen können. Sie hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen und war nun geächtet wie er. Von jetzt an war er auch ihr Erlöser, und er hatte in der Dunkelheit gelegen und gedacht, daß er keine rettende Idee hatte. Sein Einfallsreichtum war erschöpft.
    Aber der Gedanke, daß es noch
eine dritte Möglichkeit
gab, hatte ihm neuen Auftrieb gegeben. Er wußte, daß er ein großes Risiko einging, wenn er sich für diese Möglichkeit entschied. Er konnte sich irren, und dann würden sie niemals den Mördern des Majors entgehen können. Aber als es sieben geworden war und sie die Kirche verlassen mußten, war ihm klar, daß sie keine andere Wahl mehr hatten.
    Der Morgen war kalt. Völlig regungslos standen sie in der Dunkelheit vor der Tür. Baiba stützte sich auf seinen Arm. Wallander schnappte aus der Dunkelheit ein fast unhörbares Geräusch auf, so als habe ein Mensch blitzschnell seine Körperhaltung verändert und dabei unfreiwillig mit einem Fuß über den hartgefrorenen Schotter geschabt. Jetzt kommen sie, dachte er. Jetzt werden die Hunde losgelassen. Aber nichts geschah. Alles war wieder sehr still, und er zog Baiba zu der Pforte in der Kirchhofmauer. Sie kamen auf die Straße hinaus, und Wallander war jetzt sicher, daß die Verfolger sich irgendwo in ihrer Nähe befanden. Er ahnte eine schattenhafte |302| Bewegung in einem

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