Wallander 02 - Hunde von Riga
beugten sich darüber, als planten sie eine Seeschlacht.
»Wie schnell treibt so ein Boot?« fragte Svedberg. »Strömungen und Winde können ja sowohl antreiben als auch aufhalten.«
Schweigend betrachteten sie die Seekarte. Dann rollte Wallander sie auf und stellte die Rolle hinter seinem Stuhl in die Ecke. Keiner hatte etwas zu sagen.
»Laßt uns anfangen«, meinte er. »Wir können uns ja um sechs Uhr wieder hier treffen und austauschen, was wir herausbekommen haben.«
Svedberg und Norén verließen das Zimmer, während Wallander Martinsson bat, noch zu bleiben.
»Was hat die Frau gesagt?« fragte er.
Martinsson zuckte mit den Schultern.
»Frau Forsell«, sagte er. »Witwe Forsell wohnt in einem Haus in Mossby. Sie ist eine pensionierte Studienrätin vom Gymnasium in Ängelholm. Wohnt hier das ganze Jahr über mit ihrem Hund, der Tegnér heißt. Merkwürdiger Name für einen Hund. Die beiden schnappen jeden Tag am Strand etwas frische Luft. Als sie gestern abend durch die Dünen ging, war noch kein Boot zu sehen. Heute lag es dort. Sie entdeckte es ungefähr um Viertel nach zehn und rief sofort hier an.«
»Viertel nach zehn«, meinte Wallander nachdenklich. »Ist das nicht ein bißchen spät, um mit dem Hund rauszugehen?«
Martinsson nickte.
|23| »Das habe ich auch gedacht«, erwiderte er. »Aber es stellte sich heraus, daß sie um sieben Uhr mit dem Hund rausging und den Strand in entgegengesetzter Richtung entlang lief.«
Wallander wechselte das Thema.
»Der Mann, der gestern angerufen hat«, begann er, »wie hat der geklungen?«
»Wie ich schon sagte. Glaubwürdig.«
»Welchen Dialekt hatte er? Wie alt war er?«
»Er hat Schonisch gesprochen. Wie Svedberg. Seine Stimme klang heiser. Ich könnte mir vorstellen, daß er Raucher ist. Zwischen Vierzig und Fünfzig vielleicht. Er hat sich einfach und klar ausgedrückt. Er kann alles vom Bankangestellten bis zum Landwirt gewesen sein.«
Wallander hatte noch eine Frage.
»Warum hat er angerufen?«
»Darüber habe ich auch nachgedacht«, antwortete Martinsson. »Er kann gewußt haben, daß das Boot an Land treiben würde, weil er selbst in die Sache verwickelt ist. Er könnte der Täter sein. Er könnte aber auch etwas gesehen oder gehört haben. Es gibt verschiedene Möglichkeiten.«
»Was ist logisch?« fuhr Wallander fort.
»Letzteres«, antwortete Martinsson schnell. »Er muß etwas gesehen oder gehört haben. Das scheint mir kein Mord zu sein, bei dem der Täter sich freiwillig die Polizei auf den Hals hetzt.«
Wallander hatte denselben Gedanken gehabt.
»Laß uns einen Schritt weitergehen«, meinte er. »Irgend etwas gesehen oder gehört? Zwei tote Männer in einem Rettungsboot. Wenn er nicht in die Sache verwickelt ist, wird er kaum den Mord oder die Morde beobachtet haben. Dann hat er also das Boot gesehen.«
»Ein treibendes Boot«, sagte Martinsson. »Und wo sieht man das? Wenn man sich selbst auf einem Schiff auf See befindet.«
Wallander nickte.
»Genau«, sagte er. »Ganz genau. Aber wenn er selbst nicht der Täter ist, warum will er dann anonym bleiben?«
|24| »Die Leute wollen sicher nur ungern in etwas verwickelt werden«, erwiderte Martinsson. »Du weißt doch, wie das ist.«
»Vielleicht. Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit: daß er aus einem ganz anderen Grund nichts mit der Polizei zu tun haben will.«
»Ist das nicht etwas weit hergeholt?« fragte Martinsson zögernd.
»Ich denke bloß laut«, erwiderte Wallander. »Wir müssen versuchen, diesen Mann aufzuspüren.«
»Sollen wir ihn öffentlich auffordern, sich zu melden?«
»Ja«, sagte Wallander. »Aber nicht heute. Zuerst will ich mehr über die beiden Toten wissen.«
Wallander fuhr zum Krankenhaus. Obwohl er schon viele Male dort gewesen war, fiel es ihm immer noch schwer, sich in dem neugebauten Komplex zurechtzufinden. Er ging zur Cafeteria im Erdgeschoß und kaufte sich eine Banane. Danach machte er sich auf den Weg zur Pathologischen Abteilung. Der Pathologe namens Mörth hatte mit der gründlichen Untersuchung der Leichen noch nicht begonnen. Trotzdem konnte er Wallander einige Fragen beantworten.
»Beide Männer sind erschossen worden«, sagte er. »Aus nächster Nähe, direkt ins Herz.«
»Ich möchte das Resultat gern so schnell wie möglich haben«, sagte Wallander. »Kannst du schon etwas über die Todeszeit sagen?«
Mörth schüttelte den Kopf.
»Nein«, erwiderte er. »Und das ist in gewisser Weise auch eine Antwort.«
»Wie meinst du
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