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Wallander 02 - Hunde von Riga

Wallander 02 - Hunde von Riga

Titel: Wallander 02 - Hunde von Riga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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behalten hatte. Er war sich darüber im klaren, daß er riskierte, entdeckt zu werden. Wie konnte er ernsthaft eine Ermittlung durchführen, deren Ambition in ihrer Bestimmung für die Nachwelt lag, wenn er nicht irgendwo ein
Testament
hinterlassen hatte? Er hätte schließlich auch auf der Straße überfahren werden können, und dann wäre nichts übriggeblieben. Irgendwo mußte es schriftliches Material geben, und irgend jemand mußte wissen, wo. Wußte Baiba Liepa es? Oder Upitis? Gab es |208| einen anderen Menschen im Leben des Majors, einen Menschen, den der Major sogar vor seiner eigenen Frau geheimgehalten hatte? Völlig undenkbar war das nicht, überlegte er.
Jedes gegebene Vertrauen ist eine Bürde,
hatte Baiba Liepa gesagt, und diese Worte stammten mit Sicherheit von ihrem Mann.
    Sergeant Zids kam aus dem Archiv zurück.
    »Hatte Major Liepa außer seiner Frau noch Familie?« fragte Wallander.
    Zids schüttelte den Kopf.
    »Keine Ahnung«, antwortete er. »Aber das wird sie doch wohl wissen?«
    Wallander hatte im Moment keine Lust, Baiba Liepa diese Frage zu stellen. Er glaubte, daß er ab jetzt selbst gezwungen war, nach der herrschenden Norm zu handeln, und keine unnötigen Informationen oder Vertraulichkeiten verbreiten durfte. Statt dessen mußte er allein in einem von ihm selbst bestimmten Revier jagen.
    »Es muß eine Personalakte über Major Liepa existieren«, sagte er. »Ich möchte sie sehen.«
    »Dazu habe ich keinen Zugang«, antwortete Sergeant Zids. »Nur wenige Personen haben die Erlaubnis, Material aus dem Personalarchiv einzusehen.«
    »Rufen Sie jemanden an, der diese Erlaubnis hat«, sagte er. »Sagen Sie, daß der schwedische Polizist gern Major Liepas Personalakte einsehen möchte.«
    Nach einigen Bemühungen kam Sergeant Zids zu Oberst Murniers durch, der versprach, Major Liepas Akte sofort beschaffen zu lassen. Fünfundvierzig Minuten später lag sie auf Wallanders Schreibtisch. Sie hatte einen roten Umschlag, und als er sie öffnete, erblickte er als erstes das Gesicht des Majors. Es war ein altes Foto, und er war erstaunt, daß sich das Aussehen des Majors in zehn Jahren fast nicht verändert hatte.
    »Übersetzen Sie«, sagte er zu Zids.
    Der Sergeant schüttelte den Kopf.
    |209| »Ich bin nicht befugt, den Inhalt der roten Ordner zu lesen«, antwortete er.
    »Wenn Sie den Ordner holen können, dann müssen Sie doch wohl auch den Inhalt für mich übersetzen können?«
    Sergeant Zids schüttelte unglücklich den Kopf.
    »Ich darf es nicht«, erwiderte er.
    »Ich erlaube es Ihnen. Sie sollen mir nur sagen, ob Major Liepa außer seiner Frau noch Familie hatte. Danach befehle ich Ihnen, alles wieder zu vergessen.«
    Sergeant Zids setzte sich widerstrebend hin und blätterte in dem Ordner. Wallander hatte den Eindruck, daß Zids die Seiten mit derselben Abscheu berührte, als würde er eine Leiche untersuchen.
    Major Liepa hatte einen Vater. Laut Akte hatte er den gleichen Vornamen wie sein Sohn und war pensionierter Postbeamter mit einer Adresse in Ventspils. Wallander erinnerte sich an die Broschüre, die ihm die Frau mit den roten Lippen im Hotel gezeigt hatte. Es war ein Reiseführer zur Küste und der Stadt Ventspils. Laut Akte war der Vater vierundsiebzig Jahre alt und Witwer. Wallander klappte den Ordner zu und schob ihn weg, nachdem er noch einmal das Gesicht des Majors studiert hatte. In dem Moment betrat Murniers das Zimmer, und Sergeant Zids erhob sich schnell, um sich so weit wie möglich von dem roten Ordner zu entfernen.
    »Haben Sie etwas Interessantes gefunden?« fragte Murniers. »Etwas, das wir übersehen haben?«
    »Leider nicht. Ich wollte die Akte gerade ins Archiv zurückschicken.«
    Der Sergeant nahm den roten Ordner und verdrückte sich.
    »Wie läuft es mit dem Verdächtigen?« fragte Wallander.
    »Wir werden ihn schon kleinkriegen«, antwortete Murniers hart. »Ich bin sicher, daß es der richtige Mann ist. Auch wenn Oberst Putnis Zweifel zu haben scheint.«
    Selbst ich habe so meine Zweifel, dachte Wallander. Vielleicht kann ich mit Putnis darüber reden, wenn wir uns heute |210| abend treffen. Um herauszufinden, welche Ausgangspunkte wir für unsere Zweifel haben.
    Plötzlich entschloß er sich, unverzüglich seinen einsamen Marsch aus der großen Verwirrung anzutreten. Es gab keinen Grund, seine Gedanken noch länger für sich zu behalten.
    Im Reich der Lügen ist vielleicht die Halbwahrheit König, dachte er. Warum sagen, wie es ist, wenn man die Erlaubnis

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