Wallander 02 - Hunde von Riga
Alibi, falls jemand etwas wissen will. Du hast sie im Nachtclub des Hotels ›Latvija‹ getroffen, und sie ist deine Geliebte geworden. Du weißt nicht genau, wo sie wohnt, nur so viel, daß es auf der anderen Seite der Brücke ist. Du kennst ihren Nachnamen nicht, denn sie wird nur für ein paar Tage in Riga deine Liebhaberin sein. Du glaubst, daß sie eine einfache Sekretärin ist.«
Wallander hörte verblüfft zu. Baiba Liepa sagte etwas auf lettisch, und das Mädchen namens Inese stellte sich vor ihn.
»So sieht sie aus«, sagte Baiba Liepa. »Merke dir ihr Aussehen. Übermorgen wird sie dich abholen. Wenn du nach acht in den Nachtclub hinuntergehst, wird sie da sein.«
»Und eure Geschichte für heute abend?«
»Ich bin in einem Orgelkonzert gewesen und habe dann meinen Bruder besucht.«
»Deinen Bruder?«
»Er hat das Auto gefahren.«
»Warum bin ich mit einer Kapuze über dem Kopf weggebracht worden, um diesen Mann, Upitis, zu treffen?«
»Seine Menschenkenntnis ist besser als meine. Wir wußten nicht, ob wir uns auf dich verlassen können.«
»Wißt ihr das jetzt?«
»Ja«, antwortete sie ernst. »Ich vertraue dir.«
»Was glaubt ihr eigentlich, wie ich euch helfen kann?«
»Übermorgen«, sagte sie ausweichend. »Wir müssen uns jetzt beeilen.«
Das Auto wartete vor dem Tor. Während der Rückfahrt in die Innenstadt saß sie schweigend neben ihm. Wallander ahnte, daß sie weinte. Als sie ihn in der Nähe des Hotels absetzten, streckte sie ihm ihre Hand entgegen. Sie murmelte etwas Unverständliches auf lettisch, und Wallander stieg hastig aus dem Auto, das sofort verschwand. Obwohl er Hunger hatte, |201| ging er auf direktem Weg auf sein Zimmer. Er goß sich einen Becher Whisky ein und legte sich unter die Tagesdecke auf das Bett.
Er dachte an Baiba Liepa.
Erst nach zwei zog er sich aus und legte sich ins Bett. In dieser Nacht träumte er, daß jemand an seiner Seite lag. Aber es war nicht Inese, die Liebhaberin, die man ihm zugeteilt hatte. Es war eine andere, und die Hüter des Traumes ließen niemals zu, daß er ihr Gesicht sah.
Sergeant Zids holte ihn am nächsten Morgen pünktlich um acht Uhr ab. Gegen halb neun betrat Oberst Murniers sein Büro.
»Wir glauben, Major Liepas Mörder gefunden zu haben«, sagte er.
Wallander starrte ihn ungläubig an.
»Sie meinen den Mann, den Oberst Putnis seit zwei Tagen verhört?«
»Nicht den. Das ist ein verschlagener Verbrecher, der irgendwo im Hintergrund in die Sache verwickelt ist. Nein, hier handelt es sich um einen anderen Mann. Kommen Sie mit!«
Sie gingen ins Untergeschoß hinab. Murniers öffnete die Tür zu einem Vorraum. An einer Wand befand sich ein Spiegelfenster. Murniers bedeutete Wallander mit einem Zeichen, näher zu treten.
Der innere Raum bestand aus kahlen Wänden, einem Tisch und zwei Stühlen. Auf einem der Stühle saß Upitis. Über der einen Schläfe trug er eine verdreckte Bandage. Wallander sah, daß er dasselbe Hemd trug wie bei ihrem nächtlichen Gespräch in der abgelegenen Jagdhütte.
»Wer ist das?« fragte Wallander, ohne Upitis aus den Augen zu lassen. Er fürchtete, seine Erregung könnte ihn sonst verraten. Aber vielleicht wußte Murniers ja auch schon alles?
»Ein Mann, auf den wir seit langem ein Auge geworfen haben«, antwortete Murniers. »Ein gescheiterter Akademiker, |202| Dichter, Schmetterlingssammler, Journalist. Trinkt zuviel, redet zuviel. Er hat eine mehrjährige Gefängnisstrafe wegen wiederholter Hinterziehungen abgesessen. Wir waren uns seit langem darüber im klaren, daß er in wesentlich schwerwiegendere Verbrechen verwickelt sein muß, ohne ihm etwas nachweisen zu können. Wir erhielten einen anonymen Hinweis, daß er mit Major Liepas Tod zu tun haben könnte.«
»Gibt es Beweise?«
»Er streitet natürlich alles ab. Aber wir haben einen Beweis, der genauso schwer wiegt wie ein Geständnis.«
»Und das wäre?«
»Die Mordwaffe.«
Wallander wandte sich um und sah Murniers an.
»Die Mordwaffe«, wiederholte Murniers. »Wir können vielleicht in mein Zimmer gehen, dann werde ich Ihnen Genaueres über die Ergreifung berichten. Oberst Putnis müßte jetzt eigentlich auch eingetroffen sein.«
Wallander folgte Murniers die Treppen hinauf. Er bemerkte, daß der Oberst beim Gehen leise vor sich hinsummte.
Jemand hat mich hereingelegt, dachte er voller Entsetzen.
Jemand hat mich hereingelegt, und ich habe keine Ahnung, wer es war.
Ich weiß nicht, wer, und ich weiß nicht einmal,
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