Wallander 02 - Hunde von Riga
bleibt unter uns.«
»Von mir erfährt niemand etwas.«
|215| »Oberst Murniers ließ sich vor ungefähr zehn Jahren zu einer bedauerlichen Schwäche hinreißen«, sagte Putnis. »Er wurde erwischt, als er Bestechungsgelder von dem Firmenchef einer Textilfabrik annahm, der wegen grober Unterschlagung verhaftet wurde. Das Geld war als Gegenleistung dafür gedacht, daß Murniers beide Augen zudrückte, um einem der Mitschuldigen Gelegenheit zu geben, gewisse belastende Dokumente wegzuschaffen.«
»Was geschah dann?«
»Die Sache wurde vertuscht. Der Firmenchef wurde der Form halber bestraft. Ein Jahr später leitete er schon wieder eines der größten Sägewerke unseres Landes.«
»Was geschah mit Murniers?«
»Nichts. Er bereute die Sache zutiefst. Zu der Zeit war er überarbeitet und hatte gerade eine langwierige und schmerzhafte Scheidung hinter sich. Das zuständige Politbüro war der Meinung, daß man ihm verzeihen sollte. Vielleicht erlag Major Liepa der falschen Vorstellung, daß eine einmalige Schwäche auf einen dauerhaften Charakterfehler hindeutete? Das ist die einzige Antwort, die ich Ihnen geben kann. Darf ich Ihnen noch Kognak nachschenken?«
Wallander hielt ihm sein Glas hin. Etwas, das Oberst Putnis und vor ihm Murniers gesagt hatte, beunruhigte ihn, er konnte nicht sagen, was es war. In dem Moment kam Ausma mit einem Kaffeetablett ins Zimmer und begann enthusiastisch von den Sehenswürdigkeiten zu erzählen, die Wallander sich unbedingt anschauen sollte, bevor er Riga verließ. Während er ihr zuhörte, bewegte sich die Unruhe wie eine unentwegte Strömung in seinem Bewußtsein. Etwas Entscheidendes war gesagt worden, etwas, das fast unmerklich vorbeigeglitten war, aber trotzdem seine Aufmerksamkeit erregt hatte.
»Das Schwedentor«, sagte Ausma. »Haben Sie nicht einmal unser Denkmal aus jener Zeit gesehen, als Schweden eine gefürchtete europäische Großmacht war?«
»Ich fürchte, nein.«
|216| »Heute ist Schweden immer noch eine Großmacht«, sagte Oberst Putnis. »Ein kleines Land, aber um seinen großen Reichtum zu beneiden.«
Aus Angst, daß seine verschwommene Ahnung ihm wieder entgleiten könnte, entschuldigte Wallander sich und ging auf die Toilette. Er schloß die Tür und setzte sich auf den Toilettendeckel. Rydberg hatte ihm vor vielen Jahren beigebracht, nicht zu zögern, einem instinktiven Gefühl nachzugehen, wenn man einen entscheidenden Hinweis wie einen Wald vor lauter Bäumen nicht sah.
Schließlich kam er darauf, was es war. Murniers hatte etwas gesagt, dem Putnis vor nur wenigen Minuten widersprochen hatte, mit fast identischem Wortlaut, der sich nur in einem wesentlichen Punkt unterschied.
Murniers hatte von Major Liepas Vernunft gesprochen, Oberst Putnis von seiner Unvernunft. Angesichts dessen, was Putnis über Murniers erzählt hatte, war dies vielleicht nicht schwer zu verstehen. Aber als Wallander nun auf dem Toilettendeckel saß, begriff er, daß ihn Unruhe erfaßte, weil er es genau umgekehrt erwartet hätte.
Wir verdächtigen Murniers, hatte Baiba Liepa gesagt. Wir fürchten, daß er verraten wurde.
Vielleicht habe ich mich geirrt, fuhr es Wallander durch den Kopf. Sehe ich vielleicht in Oberst Murniers das, was ich bei Oberst Putnis suchen sollte? Von dem Mann, der über Major Liepas Vernunft sprach, hatte ich das Gegenteil erwartet. Er versuchte, sich Murniers’ Stimme ins Gedächtnis zurückzurufen, und plötzlich überkam ihn das Gefühl, daß der Oberst vielleicht mehr andeuten hatte wollen. Major Liepa ist ein vernünftiger Mensch, ein vernünftiger Polizist, also hat er recht.
Er wägte den Gedanken ab und mußte sich eingestehen, daß er viel zu unkritisch Verdächtigungen und Informationen aus zweiter und dritter Hand übernommen hatte.
Er betätigte die Spülung und kehrte zu seiner Kaffeetasse und seinem Kognakglas zurück.
|217| »Unsere Töchter«, sagte Ausma und hielt zwei gerahmte Fotografien hoch. »Alda und Lija.«
»Ich habe auch eine Tochter«, antwortete Wallander. »Sie heißt Linda.«
Den Rest des Abends plätscherte die Unterhaltung vor sich hin. Wallander wünschte sich, aufbrechen zu können, ohne unhöflich zu erscheinen. Aber es war schon fast ein Uhr, als Sergeant Zids vor dem Hotel »Latvija« hielt und ihn absetzte. Wallander war auf dem Rücksitz eingenickt und merkte nun, daß er mehr getrunken hatte, als gut für ihn war. Am nächsten Tag würde er müde und verkatert aufwachen.
Er lag lange da und starrte in die
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