Wallander 02 - Hunde von Riga
hat, auf alle erdenklichen Arten mit der Wahrheit umzugehen?
»Eine Sache, die Major Liepa mir während seines Aufenthaltes in Schweden erzählte, hat mich sehr verwirrt«, begann Wallander. »Es war nicht ganz eindeutig, was er meinte. Er hatte damals ziemlich viel Whisky getrunken. Jedenfalls deutete er an, daß er einige seiner Kollegen für nicht ganz zuverlässig hielt.«
Murniers verriet mit keiner Miene, ob ihn Wallanders Worte überraschten.
»Als er das sagte, war er natürlich betrunken«, fuhr Wallander mit etwas schlechtem Gewissen fort, weil er einen Toten verleumdete. »Aber wenn ich ihn richtig verstanden habe, dann hatte er den Verdacht, daß einer seiner Vorgesetzten mit kriminellen Kreisen hier im Land gemeinsame Sache macht.«
»Eine interessante Behauptung, selbst wenn sie von einem Betrunkenen stammt«, sagte Murniers nachdenklich. »Wenn er den Ausdruck Vorgesetzte benutzte, können damit nur Oberst Putnis oder ich selbst gemeint sein.«
»Er nannte keine Namen«, sagte Wallander.
»Gab er einen Grund für seine Verdächtigungen an?«
»Er sprach von Rauschgiftschmuggel. Von neuen Transportwegen durch Osteuropa. Er war der Meinung, daß sie nicht aufgebaut werden könnten, wenn nicht eine hochgestellte Persönlichkeit dieses Unterfangen beschützte.«
»Interessant«, sagte Murniers. »Ich habe Major Liepa immer für einen ausgesprochen vernünftigen Menschen gehalten, einen Menschen mit einem sehr ausgeprägten Gewissen.« |211| Es ist ihm gleichgültig, dachte Wallander. Könnte es das wirklich sein, wenn Major Liepa recht gehabt hätte?
»Was folgern Sie selbst daraus?« fragte Murniers.
»Gar nichts. Ich wollte es nur erwähnen.«
»Das war richtig«, sagte Murniers. »Sie können es auch gerne meinem Kollegen Oberst Putnis erzählen.«
Murniers ging. Wallander zog sich die Jacke an und stieß im Flur auf Sergeant Zids. Als er ins Hotel zurückgekehrt war, legte er sich aufs Bett, rollte sich in die Decke und schlief eine Stunde. Er zwang sich zu einer schnellen kalten Dusche und zog den dunkelblauen Anzug an, den er aus Schweden mitgebracht hatte. Um kurz nach sieben ging er in die Eingangshalle hinunter, wo Sergeant Zids an der Rezeption lehnend auf ihn wartete.
Oberst Putnis wohnte auf dem Land, südlich von Riga. Während der Fahrt fiel Wallander auf, daß er immer im Dunkeln durch Lettland gefahren wurde. Er bewegte sich in der Dunkelheit fort, er dachte in der Dunkelheit. Auf dem Rücksitz des Autos überkam ihn plötzlich vages Heimweh. Er wußte, daß die Unbestimmtheit seiner Aufgabe dahintersteckte. Er starrte in die Dunkelheit hinaus. Ihm fiel ein, daß er am nächsten Tag unbedingt seinen Vater anrufen mußte. Der würde ihn sicherlich fragen, wann er endlich gedachte, wieder nach Hause zu kommen.
Bald, würde er antworten, sehr bald.
Sergeant Zids bog von der Hauptstraße ab und fuhr zwischen zwei hohen Eisentoren hindurch. Die Auffahrt zum Haus war asphaltiert, und Wallander fiel auf, daß Oberst Putnis’ Privatweg die gepflegteste Straße war, auf der er bisher in Lettland gefahren war. Sergeant Zids bremste vor einer Veranda, die von unsichtbaren Scheinwerfern beleuchtet wurde. Wallander konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, plötzlich in ein anderes Land gelangt zu sein. Als er aus dem Auto stieg und alles um ihn herum nicht länger dunkel und verfallen war, ließ er damit auch Lettland hinter sich.
|212| Oberst Putnis stand auf der Treppe und erwartete ihn. Er hatte seine Polizeiuniform abgelegt und trug nun einen gutsitzenden Anzug, der Wallander an die Kleidung der Leichen in dem Rettungsboot erinnerte. Neben ihm stand seine Frau, die viel jünger war als er. Wallander schätzte sie auf Ende zwanzig. Als sie ihn begrüßte, stellte sich heraus, daß sie ausgezeichnet Englisch sprach. Wallander betrat das schöne Haus mit einem Gefühl außerordentlichen Wohlbehagens, das sich bei ihm nur dann einstellte, wenn er eine lange und mühsame Reise hinter sich gebracht hatte. Er wurde vom Hausherrn mit einem kristallenen Whiskyglas in der Hand im Haus herumgeführt, und der Oberst machte gar nicht erst den Versuch, seinen Stolz zu verbergen. Wallander sah, daß die Zimmer mit importierten Möbeln aus dem Westen eingerichtet waren, was dem Haus eine etwas protzige und kalte Atmosphäre verlieh.
Ich wäre sicher genauso, wenn ich in einem Land lebte, in dem man immer damit rechnen muß, daß alles im nächsten Moment ausverkauft sein wird, dachte er. Aber
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