Wallander 02 - Hunde von Riga
hinauszuschaffen?«
»Ich weiß es nicht. Aber das wird Murniers schon noch herausfinden.«
»Wie kommen Sie mit dem Mann voran, den Sie verhören?«
»Gut. Er hat zwar immer noch kein umfassendes Geständnis abgelegt, aber das kommt noch. Ich bin überzeugt, daß er mit dem Rauschgiftschmuggel, zu dem auch die beiden in Schweden an Land getriebenen Männer gehörten, zu tun hat. Im Moment lasse ich ihn ein wenig zappeln. Ich gebe ihm Zeit, seine Situation zu überdenken.«
Putnis verließ das Zimmer, und Wallander saß regungslos auf seinem Stuhl und versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen. Er fragte sich, ob Baiba Liepa wußte, daß ihr Freund Upitis wegen Mordes an ihrem Mann festgenommen worden war. In Gedanken kehrte er zu der Jagdhütte im Wald zurück und begriff, daß Upitis vielleicht befürchtet hatte, er, Wallander wüßte etwas, was ihn zwingen könnte, auch einem schwedischen Polizisten mit einem Holzhammer den Schädel einzuschlagen. |206| Wallander gestand sich ein, daß alle seine Theorien in sich zusammenbrachen, alle Gedankengänge im Sande verliefen, einer nach dem anderen. Er versuchte, die Teile zusammenzufügen und zu sehen, ob es irgend etwas gab, womit er weiterarbeiten konnte.
Nach einer Stunde einsamen Nachdenkens in seinem Zimmer kam er zu dem Schluß, daß es für ihn nur noch eins zu tun gab: nach Schweden zurückzufahren. Er war nach Riga gekommen, weil die lettische Polizei um seine Hilfe gebeten hatte. Er hatte ihnen nicht weiterhelfen können, und da jetzt anscheinend ein Täter gefaßt worden war, gab es für ihn keinen Grund mehr, noch länger zu bleiben. Er mußte hinnehmen, daß er von einem Mann einem nächtlichen Verhör unterworfen worden war, der sich nun vielleicht als der Mörder entpuppte, nach dem er selbst gesucht hatte. Er hatte die Rolle des
Herrn Eckers
übernommen, ohne etwas über das Stück zu wissen, in dem er anscheinend mitspielte. Das einzig Vernünftige war, so schnell wie möglich nach Hause zu fahren und die ganze Sache einfach zu vergessen.
Trotzdem sträubte er sich dagegen. Jenseits der Unlust und Verwirrung, die er empfand, gab es noch etwas anderes: Baiba Liepas Angst und ihr Trotz, Upitis’ müde Augen. Selbst wenn für ihn in der lettischen Gesellschaft vieles unsichtbar blieb, konnte er andererseits Dinge erkennen, die andere nicht sehen konnten.
Er beschloß, dem Ganzen noch ein paar Tage Zeit zu geben. Da er das Bedürfnis verspürte, etwas zu tun, und nicht mehr länger grübelnd in seinem Zimmer sitzen wollte, bat er den geduldig wartenden Sergeant Zids, ihm die Ermittlungsunterlagen zu beschaffen, mit denen Major Liepa während der letzten zwölf Monate beschäftigt gewesen war. Da er im Moment keine Möglichkeit sah, voranzukommen, hatte er sich zu einem rückblickenden Streifzug in die Vergangenheit des Majors entschlossen. Vielleicht konnte er im Archiv etwas finden, das ihn weiterführte.
|207| Sergeant Zids bewies ein hohes Maß an Effektivität und kehrte bereits nach einer halben Stunde mit einem Stapel staubiger Ordner zurück.
Sechs Stunden später war Sergeant Zids heiser und klagte über Kopfschmerzen. Wallander hatte weder ihm noch sich selbst eine Mittagspause gegönnt. Sie waren die Ordner durchgegangen, einen nach dem anderen, und Zids hatte übersetzt, erklärt, Wallanders Fragen beantwortet, weiter übersetzt. Jetzt hatten sie die letzte Seite des letzten Berichts im letzten Ordner erreicht, und Wallander mußte sich seine Enttäuschung eingestehen. Auf einer Liste hatte er notiert, daß Major Liepa sein letztes Lebensjahr damit verbracht hatte, einen Triebtäter sowie einen Einbrecher, der über einen längeren Zeitraum einen Vorort Rigas terrorisiert hatte, zu fassen, zwei Fälle von Scheckbetrug aufzuklären, drei Morde, von denen sich zwei innerhalb einer Familie zugetragen hatten, in der Opfer und Täter einander kannten. Nirgendwo hatte er eine Spur dessen entdecken können, was der Major, laut Baiba Liepa, zu seiner eigentlichen Aufgabe gemacht hatte. Das Bild des Majors als sorgfältiger, zuweilen sogar pedantischer Fahnder konnte nicht in Frage gestellt werden. Aber das war auch schon alles, was Wallander dem Archivmaterial entnehmen konnte. Er schickte Zids mit den Ordnern weg und überlegte, daß das einzig Bemerkenswerte also das war, was fehlte. Irgendwo muß er das Material seiner heimlichen Nachforschungen versteckt haben, dachte Wallander. Es war nicht anzunehmen, daß er alles im Gedächtnis
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