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Wallander 02 - Hunde von Riga

Wallander 02 - Hunde von Riga

Titel: Wallander 02 - Hunde von Riga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Dunkelheit, ehe er einschlief.
    Die Gesichter der beiden Obersten verschmolzen zu einem einzigen Gesicht. Er wußte plötzlich, daß er es niemals ertragen könnte, nach Hause zu fahren, bevor er nicht alles getan hatte, um sich Klarheit über Major Liepas Tod zu verschaffen.
    Es gibt einen Zusammenhang, dachte er. Major Liepa, die Männer in dem Rettungsboot, die Verhaftung von Upitis. Alles hängt irgendwie zusammen. Nur ich erkenne noch nichts. Und hinter meinem Kopf, auf der anderen Seite der dünnen Wand, sitzen unsichtbare Menschen und registrieren meine Atemzüge.
    Ob sie vielleicht auch merken und berichten, daß ich lange Zeit wachliege, bevor ich einschlafe?
    Vielleicht glauben sie, auf diese Art auch meinen Gedanken folgen zu können?
    Ein einsamer Lastwagen ratterte auf der Straße vorbei.
    Sein letzter Gedanke vor dem Einschlafen war, daß er nun schon seit sechs Tagen in Riga war.

|218| 13
    Als Kurt Wallander am nächsten Morgen erwachte, war er genauso müde und verkatert, wie er befürchtet hatte. In den Schläfen pochte es, und er glaubte, sich übergeben zu müssen, als er sich die Zähne putzte. In einem Glas Wasser löste er zwei Kopfschmerztabletten auf und dachte, daß die Zeiten, in denen er am Abend Alkohol trinken konnte, ohne am nächsten Tag Schwierigkeiten zu haben, unwiderruflich vorüber waren.
    Er betrachtete sein Gesicht im Spiegel und stellte fest, daß er mehr und mehr seinem Vater glich. Der Kater erfüllte ihn nicht nur mit dem melancholischen Gefühl, daß etwas für immer verloren war. In seinem bleichen, aufgedunsenen Gesicht konnte er auch die ersten Anzeichen des Alters erahnen.
    Gegen halb acht ging er in den Speisesaal hinunter, trank Kaffee und aß ein Spiegelei. Die Übelkeit ließ nach, als er den Kaffee im Magen hatte. Die halbe Stunde, die ihm blieb, bis Sergeant Zids kam, um ihn abzuholen, versuchte er darauf zu verwenden, noch einmal alle Fakten in dem nur schwer zu überblickenden Durcheinander durchzugehen. Es hatte mit zwei gutgekleideten Toten, die bei Mossby Strand an Land getrieben worden waren, begonnen. Er bemühte sich, seine neue Erkenntnis zu verarbeiten, daß es vielleicht doch Oberst Putnis und nicht Murniers war, der die Rolle des unsichtbaren Schurken spielte, aber seine Gedanken führten ihn im Kreis. Es war alles zu schwammig, zu unklar. Er hielt sich vor Augen, daß eine Ermittlung in einem Land wie Lettland völlig andere Voraussetzungen hatte als in Schweden. Im totalitären Staat entglitten einem die Dinge fortlaufend, das Sammeln von Fakten |219| und der Aufbau einer Beweiskette waren deshalb viel komplizierter.
    Vielleicht mußte man sich in Lettland zunächst entscheiden, ob ein Verbrechen überhaupt verfolgt und aufgeklärt werden sollte, dachte er. Oder ob es zur Kategorie der
Nichtverbrechen
gehörte, von der die ganze Gesellschaft durchdrungen schien.
    Als er schließlich aufstand und zu dem Sergeant hinausging, der im Wagen auf ihn wartete, dachte er, daß er mit größerer Energie als bisher Erklärungen bei den zwei Obersten suchen mußte. So wie die Dinge zur Zeit lagen, war er sich nicht sicher, ob sie unsichtbare Türen vor ihm öffneten oder schlossen.
    Dann fuhr er durch Riga, und die Mischung aus verfallenden Häusern und unendlich düsteren Plätzen erfüllte ihn wieder mit einer ganz eigenen Melancholie, wie er sie noch nie zuvor in seinem Leben verspürt hatte. Er stellte sich vor, daß die Menschen, an Bushaltestellen wartend, auf den Gehwegen vorbeieilend, die gleiche Trostlosigkeit in sich bargen, und es schauderte ihn bei diesem Gedanken. Wieder sehnte er sich heim. Aber wonach sehnte er sich eigentlich?
    Das Telefon klingelte unmittelbar nachdem er sein Büro betreten und Sergeant Zids Kaffee holen geschickt hatte.
    »Guten Morgen«, sagte Murniers, und Wallander konnte hören, daß der düstere Oberst guter Laune war. »Haben Sie einen schönen Abend gehabt?«
    »Seit ich in Riga bin, habe ich kein besseres Essen bekommen«, antwortete Wallander. »Aber ich fürchte, daß ich ein wenig zuviel getrunken habe.«
    »Mäßigung ist eine Tugend, die wir in unserem Land nicht kennen«, gab Murniers zurück. »Ich glaube verstanden zu haben, daß der Erfolg Schwedens darauf beruht, daß Sie über die Fähigkeit verfügen, enthaltsam zu leben.«
    Wallander fiel keine passende Antwort ein, und Murniers sprach weiter.
    |220| »Vor mir liegt ein interessantes Dokument«, sagte er. »Ich glaube, es könnte Ihnen helfen zu vergessen,

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