Wallander 03 - Die weisse Löwin
erinnerte. In den Träumen war die Wirklichkeit verwandelt. Dort entdeckte er nicht nur Mirandas Schönheit, sondern bejahte sie auch. In den Träumen war es ihm gestattet, sie zu lieben, und die Mädchen aus Burenfamilien, mit denen er sonst Umgang hatte, verblaßten neben Matildas Tochter.
Ihre erste eigentliche Begegnung kam zustande, als sie beide neunzehn waren. Es war ein Sonntag im Januar, als alle außer Jan Kleyn zu einem Familienessen in Kimberley gefahren waren. Er |288| hatte sie nicht begleiten können, da er sich nach einem langwierigen Malariaanfall noch matt und niedergeschlagen fühlte. Er saß auf dem Altan, Miranda war die einzige Dienerin im Hause. Plötzlich stand er auf und ging zu ihr in die Küche. Viel später würde er oft denken, daß er sie seitdem eigentlich nie verlassen hatte. Er war in der Küche geblieben. In diesem Augenblick hatte sie die Herrschaft über ihn gewonnen. Ganz würde er sie nie zurückerobern können.
Zwei Jahre später wurde sie schwanger.
Da besuchte er bereits die Rand Universität in Johannesburg. Die Liebe zu Miranda war seine Passion und gleichzeitig sein Schrecken. Er wußte, daß er ein Verräter an seinem Volk und seiner Tradition war. Oft versuchte er, jeden Kontakt zu ihr abzubrechen, sich von der verbotenen Liebe fernzuhalten. Aber er vermochte es nicht. Sie trafen sich heimlich, jeden Augenblick voller Angst, jemand würde sie entdecken. Als sie ihm erzählte, daß sie schwanger sei, hatte er sie geschlagen. Im nächsten Moment war ihm klargeworden, daß er niemals ohne sie sein könnte, auch wenn er nicht offen mit ihr leben durfte. Sie hatte ihre Stellung in der weißen Villa aufgegeben. Er hatte ihr in Johannesburg eine Zuflucht geschaffen. Mit Hilfe englischer Freunde von der Universität, die Verhältnisse zu schwarzen Frauen mit anderen Augen betrachteten, kaufte Jan Kleyn ein kleines Haus in Bezuidenhout Park im Osten Johannesburgs. Dort ließ er sie wohnen, sie galt als die Bedienstete eines Engländers, der sich meistens auf seinem Anwesen in Südrhodesien aufhielt. Dort konnten sie sich treffen, dort wurde auch ihre Tochter geboren, die sie, ohne daß darüber gesprochen werden mußte, Matilda nannten. Sie hatten weiter Umgang miteinander, weitere Kinder bekamen sie nicht. Jan Kleyn heiratete niemals eine weiße Frau, zum Kummer und manchmal auch zur Erbitterung seiner Eltern. Ein Bure, der keine Familie gründete und viele Kinder bekam, war ein Außenseiter, einer, der die Regeln nicht befolgte, die die Afrikaandertradition erforderte. Jan Kleyn wurde seinen Eltern immer mehr zum Rätsel, und er wußte, daß er niemals erklären könnte, daß er Miranda liebte, die Tochter der Dienerin Matilda.
|289| An all das dachte Jan Kleyn, als er an diesem Samstagmorgen des 9. Mai im Bett lag. Am Abend würde er das Haus in Bezuidenhout Park besuchen. Das war eine Gewohnheit, die er als heilig ansah. Daran hindern konnte ihn nur etwas, was mit seiner Tätigkeit im Nachrichtendienst zu tun hatte. An diesem Samstag, das war ihm bewußt, würde er mit deutlicher Verspätung in Bezuidenhout Park ankommen. Ein wichtiges Treffen mit Franz Malan stand bevor. Das konnte nicht verschoben werden.
Er war an diesem Morgen wie immer zeitig aufgewacht. Jan Kleyn ging spät zu Bett und stand zeitig auf. Er hatte sich dazu erzogen, mit wenig Schlaf auszukommen. Aber gerade an diesem Tag gönnte er es sich, noch im Bett liegenzubleiben. Aus der Küche hörte er die leisen Geräusche seines Dieners Moses, der das Frühstück bereitete.
Er dachte an den Anruf, den er kurz nach Mitternacht erhalten hatte. Konovalenko hatte ihm endlich den Bescheid gegeben, auf den er gewartet hatte. Victor Mabasha war tot. Das hieß nicht nur, daß ein Problem nicht länger existierte. Es bedeutete auch, daß er die Zweifel an Konovalenkos Kompetenz, die er in den letzten Tagen gehegt hatte, fallenlassen konnte.
Um zehn würde er Franz Malan in Hammanskraal treffen. Die Zeit war reif zu beschließen, wann und wo das Attentat geschehen sollte. Der Ersatzmann für Victor Mabasha war auch ausgewählt. Jan Kleyn zweifelte nicht daran, daß er wiederum eine richtige Entscheidung getroffen hatte. Sikosi Tsiki würde tun, was man von ihm verlangte. Die Wahl Victor Mabashas war ein Fehler gewesen. Jan Kleyn wußte, daß es in allen Menschen unsichtbare Schichten gab, auch in den kompromißlosesten. Deshalb hatte er beschlossen, den ausgesuchten Mann durch Konovalenko testen zu lassen.
Weitere Kostenlose Bücher