Wallander 03 - Die weisse Löwin
vereinbarten Treffen, der Leerung eines geheimen Briefkastens, einer Entführung oder einer simplen Abreise. Ein genauso schweres Vergehen war es, zu spät zu sich selbst zu kommen, zu eigenen Plänen und Entscheidungen.
Trotzdem war es gerade das, was Konovalenko passierte, am frühen Morgen des 7. Mai. Sein Fehler war, daß er sich zu sehr auf seinen BMW verlassen hatte. Als jungem KG B-Offizier hatten ihm seine Vorgesetzten beigebracht, für jede Reise zwei parallele Möglichkeiten einzuplanen. Wenn ein Fahrzeug ausfiel, wäre immer noch genügend Zeit, auf eine von Anfang an festgelegte Alternative zurückzugreifen. Aber an diesem Morgen, als sein Wagen plötzlich auf der St. Eriksbro stehenblieb und nicht wieder anspringen wollte, hatte Konovalenko nichts in Reserve. Er konnte natürlich die U-Bahn oder ein Taxi nehmen. Da er nicht wußte, ob und in diesem Fall wann der Polizist oder seine Tochter die Wohnung in Bromma verlassen würden, war es nicht einmal sicher, daß er zu spät kommen würde. Trotzdem lag die Schuld, wenn irgend etwas schiefging, ganz bei ihm. In den nächsten zwanzig Minuten versuchte er, den Motor wieder in Gang zu bringen, und diese Aktion glich einem Wiederbelebungsversuch. Der Wagen aber blieb tot.
Schließlich ließ er ihn stehen und winkte ein freies Taxi heran. Er hatte spätestens um sieben vor dem roten Ziegelhaus sein wollen. Nun war es Viertel vor acht.
Herauszubekommen, daß Wallander eine Tochter hatte, die in Bromma lebte, war nicht schwer. Er hatte die Polizei in Ystad angerufen und erfahren, daß Wallander in Stockholm im Hotel Central wohnte. Er hatte behauptet, selbst Polizist zu sein. Daraufhin hatte er sich in das Hotel begeben und die Buchung für eine größere Reisegesellschaft in ein paar Monaten diskutiert. In einem unbeobachteten Augenblick hatte er sich einen für Wallander bestimmten Notizzettel geschnappt und sich schnell den |282| Namen Linda und eine Telefonnummer gemerkt. Dann hatte er das Hotel verlassen und die Adresse in Bromma ermittelt. Dort hatte er im Hausflur mit einer Frau gesprochen, und bald waren ihm die Zusammenhänge klargeworden.
An diesem Morgen wartete er bis halb neun auf der Straße. Dann kam eine ältere Frau aus dem Hauseingang. Grüßend trat er auf sie zu, und sie erkannte in ihm den freundlichen Mann wieder, der sie schon einmal angesprochen hatte.
»Sie sind heute früh abgereist«, teilte sie ihm auf seine Frage hin mit.
»Beide?«
»Beide.«
»Werden sie lange fortbleiben?«
»Sie hat versprochen, mich anzurufen.«
»Sie hat doch bestimmt erwähnt, wohin die Reise gehen soll?«
»Ins Ausland, in den Urlaub. Wohin genau, habe ich nicht verstanden.«
Konovalenko sah, daß sie sich Mühe gab, sich zu erinnern. Er wartete.
»Frankreich, glaube ich«, sagte sie nach einer Weile. »Aber ich bin nicht ganz sicher.«
Konovalenko dankte ihr für die Hilfe und ging davon. Später würde er Rykoff vorbeischicken, um die Wohnung zu durchsuchen.
Weil er nachdenken mußte und es nicht unmittelbar eilig hatte, schlenderte er in Richtung des Zentrums von Bromma, wo er leicht ein Taxi bekäme. Der BMW hatte ausgedient, Rykoff würde ihm an diesem Tag als Zusatzaufgabe einen neuen Wagen beschaffen müssen.
Konovalenko hatte die Möglichkeit, der Polizist und seine Tochter könnten ins Ausland gefahren sein, sofort ausgeschlossen. Der Kerl aus Ystad war ein klar denkender und vorausschauender Mann. Er hatte sicher herausbekommen, daß jemand am Tag zuvor die alte Dame ausgefragt hatte. Eine Person, die wiederkommen und weitere Fragen stellen würde. Deshalb hatte er eine Spur in die falsche Richtung gelegt, nach Frankreich.
|283| Wohin? überlegte Konovalenko. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß er mit seiner Tochter nach Ystad zurückkehrt. Aber er kann auch andere Zufluchtsorte gewählt haben, die ich unmöglich aufspüren kann.
Ein vorläufiger Rückzug, dachte Konovalenko. Ich werde ihm einen Vorsprung geben, den ich ihm später wieder abnehmen kann.
Er zog noch eine Schlußfolgerung. Der Polizist aus Ystad war nervös. Weshalb sonst hatte er seine Tochter mitgenommen?
Konovalenko lächelte kurz bei dem Gedanken, daß sie nach dem gleichen Muster dachten, der unbedeutende Polizist Wallander und er. Er erinnerte sich an ein paar Worte, die ein KG B-Oberst den Rekruten mit auf den Weg gegeben hatte, kurz nach dem Beginn ihres langen Trainings. Gute Ausbildung, eine lange Ahnenreihe und das richtige Maß an Intelligenz
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