Wallander 03 - Die weisse Löwin
leichter machen, die Gegenreaktion in Gang zu setzen.«
Jan Kleyn nickte. Er hatte sehr ähnliche Gedanken gehabt. Er prüfte im Geist schnell, was Franz Malan vorgetragen hatte. Seiner Erfahrung nach hatte jeder Plan eine Schwachstelle. »Was spricht dagegen?« fragte er.
»Es fällt mir schwer, etwas zu finden«, sagte Franz Malan.
»Es gibt immer einen schwachen Punkt. Bevor wir den nicht gefunden haben, können wir keinen Beschluß fassen.«
»Ich kann mir nur eines denken«, sagte Franz Malan nach einer Weile des Schweigens, »daß Sikosi Tsiki danebenschießt.«
Jan Kleyn zuckte zusammen. »Er schießt nicht daneben. Ich wähle Leute aus, die ihr Ziel treffen.«
»Siebenhundert Meter sind trotzdem eine große Entfernung. Ein plötzlicher Windstoß, ein unfreiwilliges Rucken des Armes. Ein Sonnenreflex, den keiner voraussagen kann. Der Schuß geht ein paar Zentimeter daneben. Ein anderer wird getroffen.«
»Das darf einfach nicht passieren.«
Franz Malan dachte, daß es ihnen vielleicht nicht gelingen würde, den schwachen Punkt des Planes zu finden, an dem sie arbeiteten. Aber er hatte einen schwachen Punkt bei Jan Kleyn entdeckt. Wenn die rationalen Argumente nicht ausreichten, verwies er auf einen schicksalsbestimmten Ausgangspunkt, nämlich darauf, daß etwas einfach nicht eintreten durfte.
Aber er sagte nichts.
Ein Diener servierte Tee. Dann gingen sie den Plan noch einmal durch, prüften Details, notierten Fragen, die beantwortet werden mußten. Erst als es fast vier Uhr nachmittags war, sahen sie ein, daß sie nicht weiterkommen konnten.
»Bis zum 12. Juni bleibt uns fast genau ein Monat«, sagte Jan Kleyn. »Das bedeutet, daß unsere Zeit, Beschlüsse zu fassen, begrenzt ist. Am nächsten Freitag müssen wir entscheiden, ob es in Kapstadt geschehen soll oder nicht. Bis dahin muß alles erwogen, müssen alle Fragen beantwortet sein. Wir treffen uns wieder hier am Morgen des 15. Mai. Ich berufe dann das ganze |295| Komitee für zwölf Uhr ein. In der kommenden Woche müssen wir beide den Plan durchgehen, jeder für sich, und nach Fehlern und Schwachstellen suchen. Die Stärken kennen wir bereits, die guten Argumente. Nun müssen wir nach den schlechten suchen.«
Franz Malan nickte. Er hatte nichts einzuwenden.
Sie verabschiedeten sich und verließen das Haus in Hammanskraal im Abstand von zehn Minuten.
Jan Kleyn fuhr auf dem kürzesten Weg zum Haus in Bezuidenhout Park.
Miranda Nkoyi betrachtete ihre Tochter. Das Mädchen saß auf dem Boden und starrte in die Luft. Aber Miranda sah, daß der Blick keinesfalls leer, sondern sehend war. Wenn sie ihre Tochter betrachtete, schien es ihr manchmal, wie in einem schnell vorübergehenden Schwindelanfall, als würde sie in ihr ihre eigene Mutter wiedererkennen. So jung, knapp siebzehn, war ihre Mutter gewesen, als sie Miranda geboren hatte. Nun war ihre eigene Tochter im selben Alter.
Was sieht sie? dachte Miranda. Manchmal spürte sie einen kalten Schauer, wenn sie Züge wiedererkannte, die auch Matildas Vater trug. Vor allem den Blick, der sich in verbissener Konzentration verlor, obwohl doch nur Luft da war. Das innere Gesicht, das kein anderer verstehen konnte.
»Matilda«, sagte sie vorsichtig, um sie behutsam in den Raum zurückzuholen, in dem sie sich befand.
Das Mädchen fuhr heftig zusammen und sah ihr starr in die Augen. »Ich weiß, daß mein Vater bald kommt«, sagte sie. »Da du mir nicht erlauben willst, ihn zu hassen, wenn er hier ist, tue ich es, wenn ich warte. Du kannst bestimmen, wann. Aber du kannst mir den Haß niemals nehmen.«
Miranda hatte Lust, laut auszusprechen, daß sie ihr Gefühl verstand. Es ging ihr oft selbst so. Aber sie konnte nicht. Sie war wie ihre Mutter, die ältere Matilda, die durch Trauer aus der ständigen Demütigung, im eigenen Land kein richtiges Leben führen zu dürfen, herausgefunden hatte. Miranda wußte, daß sie genauso weich geworden war, verstummt in einer Ohnmacht, die |296| sie nur bezwingen konnte, indem sie den, der der Vater ihrer Tochter war, ständig verriet.
Bald, dachte sie. Bald muß ich meiner Tochter klarmachen, daß ihre Mutter doch noch ein Maß an Lebenskraft bewahrt hat. Ich muß sie einweihen, um sie zurückzuerobern, um ihr zu zeigen, daß der Abstand zwischen uns kein Abgrund ist.
Matilda gehörte insgeheim der Jugendorganisation des ANC an. Sie war aktiv und hatte bereits viele vertrauliche Aufträge übernommen. Mehr als einmal war sie von der Polizei
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