Wallander 03 - Die weisse Löwin
Kollegen im Nachrichtendienst hätten alle Gerüchte über ihre Existenz ins Reich sinnloser Phantasien verwiesen. Jan Kleyn war eine der seltenen Sonnen, die keine Flecken zu haben schienen.
Aber einen gab es, Miranda.
Sie waren gleichaltrig und wußten jeweils um die Existenz des anderen, seit sie Kinder waren. Aber sie waren nicht zusammen aufgewachsen. Sie hatten in zwei getrennten Welten gelebt. Mirandas Mutter Matilda war Dienstmädchen in Jan Kleyns |286| Elternhaus, der großen weißen Villa auf einem Hügel außerhalb von Bloemfontein. Sie selbst wohnte ein paar Kilometer entfernt, in einer Wellblechhütte unter vielen, dort, wo die Afrikaner zu Hause waren. Jeden Tag zeitig im Morgengrauen war sie den steilen Hang zu der weißen Villa hinaufgestiegen, wo ihr Arbeitstag damit begann, der Familie das Frühstück zu servieren. Der mühsame Aufstieg war wie eine Buße für ihr Verbrechen, das darin bestand, schwarz geboren zu sein. Jan Kleyn hatte, wie seine Geschwister, einen eigenen Diener, der nur dazu da war, auf das Kind aufzupassen. Aber er hatte dennoch die Angewohnheit, sich besonders an Matilda zu halten. Eines Tages, als er elf war, fragte er sich zum erstenmal, woher sie jeden Morgen kam und wohin sie ging, wenn der Arbeitstag zu Ende war. Es war wie ein unerlaubtes Abenteuer, ihr heimlich zu folgen, denn sein Vater hatte ihm verboten, den von einer Mauer umschlossenen Garten allein zu verlassen. So sah er die zusammengedrängten Wellblechhütten aus der Nähe, in denen die Schwarzen wohnten. Er wußte natürlich, daß die Schwarzen unter ganz anderen Verhältnissen lebten als er selbst. Ständig hatte er von seinen Eltern zu hören bekommen, daß das eine naturgegebene Notwendigkeit sei. Weiße, wie Jan Kleyn, waren Menschen. Die Schwarzen waren noch keine. Irgendwann in ferner Zukunft würden sie eventuell das Niveau der Weißen erreichen können. Ihre Haut würde heller werden, ihr Verstand wachsen, und alles wäre ein Resultat der geduldigen Aufzucht durch die Weißen. Dennoch hatte er sich nicht vorgestellt, daß ihre Häuser so schäbig wären.
Aber auch eine andere Tatsache fesselte seine Aufmerksamkeit. Matilda wurde von einem Mädchen in seinem Alter begrüßt, langbeinig und mager. Das mußte Matildas Tochter sein. Vorher hatte er nie darüber nachgedacht, daß Matilda eigene Kinder haben könnte. Nun erkannte er zum ersten Mal, daß Matilda eine Familie hatte, ein Leben außerhalb der Arbeit in seinem Elternhaus. Das war eine Entdeckung, die ihm unangenehm war. Er merkte, daß er wütend wurde. Es war, als habe Matilda ihn betrogen. Immer hatte er gedacht, sie sei nur für ihn da.
Zwei Jahre darauf starb Matilda. Miranda hatte ihm die |287| genaue Todesursache nie mitgeteilt, nur, daß etwas sie von innen aufgezehrt hatte, bis das Leben aus ihr gewichen war. Matildas Familie war auseinandergebrochen. Mirandas Vater hatte zwei Söhne und eine Tochter mit in seine Heimat genommen, in das karge Land an der Grenze zu Lesotho. Miranda sollte bei einer Schwester Matildas aufwachsen. Aber Jan Kleyns Mutter hatte in einem Anfall unerwarteter Fürsorge beschlossen, sich ihrer anzunehmen. Sie sollte beim Gärtner in einem kleinen Haus in einer versteckten Ecke des großen Gartens wohnen und lernen, die Arbeit ihrer Mutter zu übernehmen. Auf diese Weise würde Matildas Geist der weißen Villa erhalten bleiben. Jan Kleyns Mutter war nicht umsonst Burin. Für sie war das Bewahren von Traditionen eine Garantie für den Fortbestand der Familie und der Afrikaandergesellschaft. Es trug zu dem Gefühl der Unveränderlichkeit und Stabilität bei, über Generationen dieselbe Dienerfamilie zu haben.
Jan Kleyn und Miranda wuchsen weiter nahe beieinander auf. Aber der Abstand hatte sich nicht verringert. Auch wenn er sah, daß sie sehr schön war – schwarze Schönheit war etwas, was eigentlich nicht existierte. So etwas gehörte zu den verbotenen Dingen. Er bekam insgeheim mit, wie Gleichaltrige erzählten, daß Buren übers Wochenende in die benachbarte portugiesische Kolonie Moçambique reisten, um mit schwarzen Frauen ins Bett zu gehen. Aber er dachte, daß das nur die Wahrheit bestätigte, die niemals in Frage zu stellen er gelernt hatte. Deshalb fuhr er auch fort, Miranda zu sehen, ohne sie eigentlich bemerken zu wollen, wenn sie ihm das Frühstück auf dem Altan servierte. Aber sie begann, in seinen Träumen aufzutauchen. Die Träume waren intensiv und erregten ihn, wenn er sich am Tag danach daran
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