Wallander 03 - Die weisse Löwin
geschnappt worden. Miranda litt ständig unter der Angst, sie könnte verletzt oder getötet werden. Jedesmal, wenn die Särge der Schwarzen in den singenden, sich hinschlängelnden Begräbniszügen fortgetragen wurden, betete sie zu all ihren Göttern, doch ihre Tochter zu verschonen. Sie wandte sich an den Christengott, an die Geister der Ahnen, an ihre tote Mutter und an
songoma
, von dem ihr Vater immer gesprochen hatte. Aber sie war nie überzeugt davon, daß sie wirklich gehört wurde. Die Gebete linderten lediglich ihre Angst, indem sie sie müde machten.
Miranda verstand den Zwiespalt und die Ohnmacht ihrer Tochter darüber, einen Buren zum Vater zu haben, vom Feinde abzustammen. Es war, als sei ihr schon bei der Geburt eine tödliche Wunde beigebracht worden.
Und doch wußte Miranda, daß eine Mutter wegen ihres eigenen Kindes keine Reue empfinden kann. Damals, vor siebzehn Jahren, hatte sie Jan Kleyn genausowenig geliebt wie heute. Matilda war in Unterwerfung und Angst gezeugt worden. Es war, als habe das Bett, in dem sie lagen, in einem luftleeren Universum geschwebt. Danach hatte sie es nie geschafft, die Unterwerfung zu überwinden. Das Kind sollte geboren werden, es hatte einen Vater, und er organisierte ein Dasein für sie, ein Haus in Bezuidenhout, Geld für den Lebensunterhalt. Sie war von Anfang an fest entschlossen, mit ihm keine Kinder mehr zu haben. Wenn nötig, würde Matilda ihr einziges bleiben, auch wenn ihr afrikanisches Herz bei diesem Gedanken schrie. Jan Kleyn hatte weitere Kinder mit ihr nie offen gewünscht, seine Forderung nach ihrem Beitrag zur Liebe war unbedeutend. Sie |297| ließ ihn zu sich kommen in den Nächten und konnte es aushalten, denn sie hatte gelernt, sich durch Verrat an ihm zu rächen.
Sie betrachtete ihre Tochter, die sich wieder in einer Welt verloren hatte, in die sie ihre Mutter niemals mitnahm. Sie sah, daß ihre Tochter ihre eigene Schönheit geerbt hatte. Der einzige Unterschied war ihre hellere Haut. Sie hatte sich manchmal gefragt, was Jan Kleyn wohl sagen würde, wenn er wüßte, daß sich seine Tochter am meisten eine dunklere Haut wünschte.
Auch meine Tochter verrät ihn, dachte Miranda. Aber unser Verrat ist nicht böse. Er ist die Rettungsleine, an der wir uns krampfhaft festhalten, wenn Südafrika brennt. Das Böse liegt ganz und gar bei ihm. Eines Tages wird es ihn vernichten. Unsere Freiheit wird nicht in erster Linie darin bestehen, daß wir einen Stimmzettel in der Hand halten, sondern darin, daß wir uns von unseren inneren Ketten befreien.
Der Wagen hielt in der Auffahrt vor der Garage.
Matilda erhob sich und sah ihre Mutter an. »Warum hast du ihn nicht umgebracht?«
Es war seine Stimme, die da aus ihrer Tochter sprach. Aber sie war sicher, daß ihr Herz nicht wie das eines Buren war. An ihrem Aussehen, der hellen Haut, hatte sie nichts ändern können. Aber sie hatte ihr Herz verteidigt, heiß, unbezwingbar. Diese Festung, und wenn es die letzte war, würde Jan Kleyn niemals einnehmen können.
Schmählich war nur, daß er nichts zu merken schien. Jedesmal, wenn er nach Bezuidenhout kam, war sein Auto vollgeladen mit Lebensmitteln, damit sie ihm ein
braai
bereiten konnte, genau wie in der weißen Villa, in der er aufgewachsen war. Er hatte nie begriffen, daß er sie zu ihrer eigenen Mutter machte, zur versklavten Dienerin. Er verstand nie, daß er sie zwang, in verschiedenen Rollen aufzutreten: als Köchin, Geliebte und Frau, die seine Kleider ausbürstete. Er bemerkte nicht den verbissenen Haß seiner Tochter. Er sah eine Welt, bewegungslos, versteinert, und er faßte es als seine Lebensaufgabe auf, diese Welt zu verteidigen. Das Falsche, Verlogene, die bodenlose Lüge, auf der das ganze Land aufbaute, sah er nicht.
|298| »Ist alles, wie es sein soll?« fragte er, als er die Tüten mit den Lebensmitteln im Flur abgestellt hatte.
»Ja«, antwortete Miranda. »Alles ist gut.«
Dann bereitete sie
braai
, während er versuchte, mit seiner Tochter zu sprechen, die sich hinter der Rolle der Schüchternen und Verzagten versteckte. Er versuchte, ihr übers Haar zu streichen, und Miranda sah durch die Küchentür, wie die Tochter erstarrte. Sie aßen – die Afrikaanderwürste, die groben Fleischstücke, die Kohlsalate. Miranda wußte, daß Matilda nach der Mahlzeit auf die Toilette gehen und alles wieder erbrechen würde. Dann wollte er über Belanglosigkeiten reden, über das Haus, die Tapeten, den Garten. Matilda verschwand in ihr Zimmer,
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