Wallander 03 - Die weisse Löwin
Gleichzeitig hatte er sein Pech verflucht und sich über die Autofahrt geärgert.
Als ob es nicht aufhören wollte, hatte er gedacht.
Dann, als er wieder ruhiger geworden war, hatte er Hilfe bei seiner Tochter gesucht. »Herman Mboya muß als dein Freund wiederauferstehen. Falls jemand fragen sollte. Was ich kaum glaube.«
Sie hatte ihn angesehen und dann plötzlich gelacht. »Erinnerst du dich, was du mir beigebracht hast, als ich ein Kind war? Daß eine Lüge zu neuen Lügen führt. Und schließlich ist das Durcheinander so groß, daß keiner mehr weiß, was die Wahrheit ist.«
»Mir gefällt die ganze Sache genausowenig wie dir. Aber es ist bald vorüber. Bald ist er außer Landes. Und wir können vergessen, daß er jemals hier war.«
»Natürlich kann ich sagen, daß Herman Mboya zurückgekommen ist«, sagte sie. »Manchmal wünsche ich mir ja, daß es so wäre.«
Als Wallander am Montag morgen das Polizeigebäude betrat, hatte er also eine Erklärung dafür, warum am Sonntag nachmittag ein Afrikaner neben ihm im Auto gesessen hatte. In einer Situation, da das meiste sehr kompliziert war und ihm aus den Händen zu gleiten drohte, schien ihm dies das geringste Problem. |306| Als er Victor Mabasha am Morgen auf der Straße entdeckt hatte, kaum zu erkennen im Nebel, an einen Geist erinnernd, war sein erster Impuls, schnell in die Wohnung zurückzulaufen und seine Kollegen zu Hilfe zu rufen. Aber etwas hatte ihn daran gehindert, etwas, was seiner Polizistenvernunft total widersprach. Schon auf dem nächtlichen Friedhof in Stockholm hatte er das sichere Gefühl gehabt, der schwarze Mann sage die Wahrheit. Nicht er hatte Louise Åkerblom getötet. Er war vielleicht dabeigewesen, als es geschah, aber er war unschuldig. Der Mörder war ein anderer, ein Mann namens Konovalenko, der anschließend versucht hatte, ihn zu töten. Möglicherweise hatte der schwarze Mann, dem ein Finger abgeschnitten worden war, versucht, die Tat auf dem abgelegenen Gehöft zu verhindern. Wallander hatte unablässig gegrübelt, was dahinterstecken konnte. Aus diesem Gefühl heraus hatte er ihn mit hinauf in seine Wohnung genommen. Ihm war durchaus bewußt, daß das ein Fehler sein konnte. Wallander hatte bei verschiedenen Anlässen in seinem Umgang mit Verdächtigen oder überführten Verbrechern mehr als unkonventionelle Formen angewendet. Mehrmals sah Björk sich veranlaßt, Wallander daran zu erinnern, was das Reglement über korrektes polizeiliches Auftreten sagte. Wallander hatte den schwarzen Mann bereits auf der Straße aufgefordert, eventuell vorhandene Waffen abzulegen. Er nahm die Pistole in Empfang und durchsuchte dann seine Kleider. Der schwarze Mann wirkte dabei seltsam unberührt, als habe er nichts anderes erwartet, als von Wallander in dessen Wohnung eingeladen zu werden. Um sich nicht allzu ahnungslos zu zeigen, hatte Wallander trotz allem gefragt, wie er zu seiner Adresse gekommen sei.
»Auf dem Weg zum Friedhof habe ich deine Brieftasche durchsucht. Deine Adresse habe ich mir gemerkt.«
»Du hast mich überfallen. Und nun suchst du mich in meiner Wohnung auf, Hunderte von Kilometern von Stockholm entfernt? Ich hoffe, du kannst mir die Fragen beantworten, die ich dir stellen werde.«
Sie setzten sich in die Küche, und Wallander zog die Tür heran, damit Linda nicht aufwachte. Später würde er sich an das lange |307| Gespräch am Küchentisch als an eines der denkwürdigsten erinnern, die er je geführt hatte. Es war nicht nur, daß Wallander einen ersten fundierten Einblick in die fremde Welt erhielt, der Victor Mabasha entstammte und in die er bald zurückkehren würde. Er war auch gezwungen, sich die Frage zu stellen, wie ein Mensch aus so vielen unvereinbaren Teilen zusammengesetzt sein konnte. Wie konnte man ein kaltblütiger Mörder sein, der sein tödliches Handwerk wie ein Angestellter verrichtete, und gleichzeitig ein denkender und fühlender Mensch mit wohlbegründeten politischen Ansichten? Was er dagegen nicht durchschaute, war, daß das Gespräch zu einem Täuschungsmanöver gehörte, dessen Opfer er war. Victor Mabasha hatte verstanden, worum es ging. Seine Fähigkeit, Vertrauen zu erwecken, konnte ihm die Freiheit verschaffen, nach Südafrika zurückzukehren. Die Geister waren es, die ihm zugeflüstert hatten, den Polizisten aufzusuchen, der Konovalenko jagte, und mit seiner Hilfe das Land zu verlassen.
Woran sich Wallander später am stärksten erinnern sollte, war die Erzählung Victor Mabashas
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