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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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was er gesagt hatte.
    »Ich wuchs in einer Familie auf, die schon von Anfang an gespalten wurde«, sagte er nach einer langen Pause. »Die Weißen wußten, daß sie uns schwächen konnten, indem sie die Familie auseinanderbrachen. Ich beobachtete an meinen Geschwistern, daß sie immer mehr wie blinde Kaninchen auftraten. Sie rannten im Kreise herum, immer rundherum, ohne noch zu wissen, woher sie kamen und wohin sie wollten. Ich sah es und ging einen anderen Weg. Ich lernte zu hassen. Ich trank das dunkle Wasser, das die Lust an Rache weckt. Aber ich hatte auch erkannt, daß die Weißen, in all ihrer Übermacht, ihrer arroganten Überzeugung, ihre Herrschaft sei von Gott gegeben, auch Schwachpunkte hatten. Sie waren ängstlich. Sie sprachen davon, das Land Südafrika zu einem vollendeten Kunstwerk zu formen, einem weißen Palast im Paradies. Aber sie sahen nie die Sinnlosigkeit ihres Traums. Und die, die doch sahen, weigerten sich, sich dem zu stellen. So wurde eine Lüge zum Fundament, und nachts kam die Angst zu ihnen. Sie füllten ihre Häuser mit Waffen. Aber die Angst zog trotzdem ein. Die Gewalt wurde ein Teil des Alltags |310| der Angst. Ich sah das alles, und ich dachte, daß ich meine Freunde nah bei mir haben sollte, meine Feinde aber noch näher. Ich würde die Rolle des schwarzen Mannes spielen, der wußte, wie die Weißen es haben wollten. Ich würde meine Verachtung pflegen, indem ich ihnen Dienste erwies. Ich würde in ihrer Küche stehen und in die Suppe spucken, bevor ich sie ihnen servierte. Ich würde weiterhin ein Niemand sein, aber insgeheim wäre ich ein Jemand geworden.«
    Er verstummte. Wallander dachte, daß er jetzt wohl gesagt hatte, was er loswerden wollte. Aber was hatte Wallander eigentlich verstanden? Auf welche Weise half es ihm zu verstehen, was Victor Mabasha nach Schweden getrieben hatte? Worum ging es? Was er früher bereits vage geahnt hatte, daß Südafrika ein Land war, das von einer furchtbaren Rassenpolitik in Stücke gerissen wurde, verstand er nun besser. Aber das Attentat? Gegen wen war es gerichtet? Wer stand dahinter? Eine Organisation?
    »Ich muß mehr wissen«, sagte er. »Du hast noch nicht erzählt, wer hinter dem Ganzen steckt. Wer hat deinen Flug nach Schweden bezahlt?«
    »Diese rücksichtslosen Männer sind wie Schatten. Die Geister ihrer Ahnen haben sie seit langem verlassen. Sie treffen sich heimlich, um das Unheil in unserem Land zu planen.«
    »Und du stehst in ihren Diensten?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Warum nicht?«
    »Du tötest Menschen.«
    »Andere werden eines Tages mich töten.«
    »Was meinst du damit?«
    »Ich weiß, daß es so kommen wird.«
    »Aber Louise Åkerblom hast du nicht getötet?«
    »Nein.«
    »Das tat ein Mann namens Konovalenko?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Das kann nur er beantworten.«
    »Ein Mann reist aus Südafrika an, ein anderer aus Rußland. |311| Sie treffen sich auf einem abseits gelegenen Hof in Schonen. Dort haben sie eine starke Funkanlage und Waffen. Warum?«
    »Es war so vorgesehen.«
    »Von wem?«
    »Von denen, die uns baten, dorthin zu fahren.«
    Wir drehen uns im Kreis, dachte Wallander. Ich bekomme keine Antworten.
    Aber er versuchte es noch einmal, zwang sich, weiterzumachen.
    »Ich habe verstanden, daß es um eine Vorbereitung ging. Auf ein Verbrechen, das in deinem Heimatland verübt werden soll. Ein Verbrechen, das du verüben wirst. Ein Mord? Aber wer soll ermordet werden? Und warum?«
    »Ich habe versucht, dir mein Land zu erklären.«
    »Ich stelle einfache Fragen und will einfache Antworten.«
    »Vielleicht müssen die Antworten so sein, wie sie sind?«
    »Ich versteh dich nicht«, sagte Wallander nach einer langen Pause. »Du bist ein Mann, der nicht zögert zu morden, scheinbar auf Bestellung. Gleichzeitig wirkst du wie ein sensibler Mensch, der unter den Verhältnissen in seinem Land leidet. Ich kann da keinen Zusammenhang herstellen.«
    »Für einen, der schwarz ist und in Südafrika lebt, gibt es keinen Zusammenhang.«
    Dann fuhr Victor Mabasha fort, über sein verwundetes und zerfleischtes Land zu erzählen. Wallander fiel es schwer, alles zu glauben, was er hörte. Als Victor Mabasha geendet hatte, war es Wallander, als habe er eine lange Reise hinter sich. Sein Führer hatte ihm Plätze gezeigt, von deren Existenz er nicht einmal etwas geahnt hatte.
    Ich lebe in einem Land, in dem wir gelernt haben zu glauben, daß alle Wahrheiten einfach sind, dachte er. Und daß es immer nur eine unteilbare Wahrheit gibt.

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