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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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über eine Pflanze, die nur in der namibischen Wüste wuchs. Sie konnte zweitausend Jahre alt werden. Wie eine schützende Hülle legte sie ihre langen Blätter über die Blüte und das sinnreich ausgebreitete Wurzelsystem. Victor Mabasha betrachtete das eigenartige Gewächs als ein Symbol für die Kräfte, die sich in seinem Heimatland gegenüberstanden und die auch in ihm selbst um die Herrschaft kämpften. »Menschen geben ihre Privilegien niemals freiwillig auf«, sagte er. »Sie haben sich so an sie gewöhnt, wurzeln so stark in ihnen, daß sie wie zu einem Körperteil geworden sind. Es wäre falsch zu glauben, es handle sich um einen rassisch begründeten Defekt. In meinem Heimatland sind die Weißen die Träger dieser Macht der Gewohnheit. Aber in einer anderen Situation könnten es genauso ich und meine Brüder sein. Man kann Rassismus nie mit Rassismus bekämpfen. Aber was in meinem Land, das jahrhundertelang so verletzt und zerfleischt wurde, geschehen muß, ist, daß mit den Erfahrungen der Unterlegenheit gebrochen wird. Die Weißen müssen einsehen, daß ihre nächste Zukunft vom Verzicht geprägt sein wird. Sie müssen den eigentumslosen |308| Schwarzen Land überlassen, denen es Jahrhunderte hindurch verweigert wurde. Sie müssen den größten Teil ihres Reichtums an die weitergeben, die nichts haben, müssen lernen, die Schwarzen als Menschen zu betrachten. Die Barbarei hat immer menschliche Züge. Das ist es, was die Barbarei so unmenschlich macht. Die Schwarzen, die es gewohnt sind, sich zu unterwerfen, sich als Niemand zu fühlen, müssen ihre Gewohnheiten ablegen. Vielleicht ist Unterlegenheit die menschliche Krankheit, die am schwierigsten zu heilen ist. Diese Erfahrung greift tief, deformiert den ganzen Menschen, läßt keinen Körperteil unberührt. Die Reise vom Niemand zum Jemand ist die längste, die ein Mensch machen kann. Wenn man erst gelernt hat, mit seiner Unterwerfung zu leben, wird sie zu einer Gewohnheit, die das ganze Dasein dominiert. Und ich glaube, daß eine friedliche Lösung eine Illusion ist. Die Rassentrennung in meinem Land hat einen Punkt erreicht, wo sie schon anfängt zu verwittern, weil sie unsinnig geworden ist. Neue Generationen von Schwarzen sind herangewachsen, und sie lehnen es ab, sich zu unterwerfen. Sie sind ungeduldig, sie sehen den Zusammenbruch kommen. Aber es geht zu langsam. Es gibt auch viele Weiße, die genauso denken. Sie weigern sich, die Privilegien zu akzeptieren, die beinhalten, daß sie so leben müssen, als seien alle Schwarzen im Lande unsichtbar, als existierten sie nur als Dienerschaft oder als eine eigentümliche Tierart, die man in abseits gelegenen Slums eingesperrt hält. In meinem Land gibt es große Parks, in denen die Tiere geschützt werden. Gleichzeitig haben wir große Menschenparks, und die, die dort leben, werden nicht geschützt, im Gegenteil. So gesehen, geht es den Tieren in meinem Land besser als den Menschen.«
    Victor Mabasha verstummte und sah Wallander an, als erwarte er Fragen oder Einwände. Wallander dachte, daß in seinen Augen vielleicht alle Weißen gleich waren, ob sie nun in Südafrika lebten oder nicht.
    »Viele meiner schwarzen Brüder und Schwestern glauben, daß das Gefühl der Unterlegenheit durch sein Gegenteil, das der Überlegenheit, besiegt werden kann«, fuhr Victor Mabasha fort. »Aber das ist natürlich falsch. Das führt nur zu Abneigung und |309| Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen, wo eigentlich Eintracht herrschen sollte. Das kann sogar eine Familie spalten. Und du sollst wissen, Kommissar Wallander, daß man in meinem Land ohne Familie an Wert verliert. Für den Afrikaner ist die Familie der Ausgangspunkt für alles.«
    »Ich dachte, das wären eure Geister«, unterbrach Wallander.
    »Die Geister gehören zur Familie. Die Geister, das sind unsere Ahnen, die über uns wachen. Sie leben als unsichtbare Mitglieder der Familie. Wir vergessen nie, daß es sie gibt. Deshalb ist es ein so unbeschreibliches Verbrechen, daß uns die Weißen gezwungen haben, den Boden zu verlassen, auf dem wir über viele Generationen gelebt haben. Geister mögen es nicht, wenn man sie zwingt, die Erde zu verlassen, die einmal ihre war. Die Geister verabscheuen, mehr noch als die Lebenden, die Wohngegenden, in denen wir uns unter dem Zwang der Weißen aufhalten müssen.«
    Er verstummte abrupt, als hätten ihm die soeben gesprochenen Worte eine entsetzliche Wahrheit offenbart, als fiele es ihm selbst schwer zu glauben,

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