Wallander 03 - Die weisse Löwin
sein?«
»Am liebsten ja. Tut mir leid, daß ich so spät dran bin.«
»Den Mord an dieser Frau könnt ihr ja auch nicht aufklären«, sagte sie und nahm Formular und Paßbilder entgegen.
Wallander verfolgte aufmerksam ihre Handgriffe und sah, wie der Paß entstand. Danach, als er mit dem Resultat in der Hand dastand, glaubte er, den Prozeß nachvollziehen zu können. »Imponierend einfach«, sagte er.
»Aber langweilig«, meinte Irma. »Woran liegt es, daß alle Arbeiten langweiliger werden, wenn man sie vereinfacht?«
»Du solltest Polizistin werden. Wir langweilen uns nie.«
»Ich bin Polizistin. Außerdem bezweifle ich, daß ich mit dir würde tauschen wollen. Das muß ja schrecklich sein, eine Leiche aus dem Brunnen zu holen. Wie fühlt man sich eigentlich dabei?«
»Weiß ich nicht. Vermutlich fühlt man so viel, daß man wie betäubt ist und überhaupt nichts mehr spürt. Aber es gibt bestimmt eine Studie des Justizministeriums, die ganz genau beschreibt, was Polizisten fühlen, wenn sie Frauenleichen aus Brunnen bergen.«
Er blieb stehen und plauderte mit ihr, während sie abschloß. Alle Unterlagen für die Pässe wurden in Tresoren verwahrt. Aber er wußte, wo die Schlüssel hingen.
Victor Mabasha und er hatten entschieden, daß Victor das Land als der schwedische Bürger Jan Berg verlassen würde. Wallander hatte eine Unmenge von Namenskombinationen getestet, um herauszufinden, welche Victor am leichtesten aussprechen konnte. So kamen sie auf Jan Berg. Victor fragte, was der Name bedeutete. Er war zufrieden, als er die Worte für sich übersetzte. Wallander war während der Gespräche der letzten Tage klargeworden, daß der Mann aus Südafrika in engem Kontakt mit einer Geisterwelt lebte, die ihm selbst völlig fremd war. Nichts war zufällig, nicht einmal ein Wechsel des Namens. Linda hatte ihm teilweise erklären können, warum Victor Mabasha so dachte. |326| Aber dennoch schien es ihm, als habe er in eine Welt geschaut, die zu verstehen ihm die Voraussetzungen fehlten. Victor Mabasha sprach über seine Ahnen, als lebten sie. Wallander konnte manchmal nicht auseinanderhalten, ob die Ereignisse hundert Jahre zurücklagen oder erst kürzlich passiert waren. Es konnte nicht ausbleiben, daß Victor Mabasha ihn faszinierte. Kaum vorstellbar, daß der Mann ein Verbrecher war, der ein schweres Attentat in seinem Heimatland vorbereitete.
Wallander blieb bis zum späten Dienstag abend in seinem Büro. Um die Zeit totzuschlagen, begann er, einen Brief an Baiba Liepa in Riga zu schreiben. Aber als er die Zeilen durchgelesen hatte, zerriß er die Seiten. Eines Tages würde er einen Brief schreiben und auch abschicken. Aber es würde noch dauern, das war ihm klar.
Gegen neun war nur noch das Nachtpersonal anwesend. Da er es nicht wagte, in dem Raum, wo die Pässe erstellt wurden, Licht zu machen, hatte er sich mit einer abgeschirmten Taschenlampe ausgerüstet, die blau leuchtete. Er ging über den Flur und wünschte sich, ganz woandershin unterwegs zu sein. Er dachte an Victor Mabashas Geisterwelt und fragte sich, ob schwedische Polizisten wohl einen besonderen Schutzgeist hatten, der über sie wachte, während sie dabei waren, verbotene Dinge zu tun.
Der Schlüssel hing an seinem Platz im Dokumentenschrank. Wallander blieb einen Augenblick stehen und betrachtete die Maschine, die Fotografien und ausgefüllte Formulare in Pässe verwandelte.
Dann streifte er sich Gummihandschuhe über und begann. Einmal schien es ihm, als näherten sich Schritte. Er duckte sich hinter den Apparat und knipste die Taschenlampe aus. Als das Geräusch verklungen war, machte er weiter. Er merkte, daß ihm unter dem Hemd der Schweiß lief. Aber schließlich stand er da, den Paß in der Hand. Er schaltete die Maschine aus, hängte den Schlüssel zurück an seinen Platz und schloß ab. Früher oder später würde eine Kontrolle ergeben, daß ein Paßformular verschwunden war. Über die Registriernummer konnte das bereits am nächsten Tag geschehen, überlegte er. Björk hätte dadurch großen Ärger. Aber nichts würde auf Wallander hinweisen.
|327| Erst als er wieder in seinem Zimmer war und hinter dem Schreibtisch saß, merkte er, daß er vergessen hatte, den Paß abzustempeln. Er fluchte und warf das Dokument vor sich auf den Tisch.
Im selben Augenblick ging die Tür auf, und Martinsson kam herein. Er zuckte zusammen, als er Wallander sitzen sah. »Oh, entschuldige«, sagte er. »Ich wußte nicht, daß du hier bist. Ich
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