Wallander 03 - Die weisse Löwin
wollte nur nachsehen, ob ich meine Mütze hier vergessen habe.«
»Mütze? Mitten im Mai?«
»Ich glaube, ich habe mir eine Erkältung geholt. Ich hatte sie bei mir, als wir gestern hier saßen.«
Wallander konnte sich nicht erinnern, daß Martinsson am Tag zuvor eine Mütze bei sich gehabt hatte, als sie mit Svedberg zusammengesessen hatten, um die letzten Neuigkeiten des Falles und die bisher erfolglose Jagd nach Konovalenko durchzusprechen.
»Schau unterm Stuhl nach«, sagte Wallander.
Als Martinsson sich hinunterbeugte, steckte Wallander schnell den Paß in die Tasche.
»Nichts«, sagte Martinsson. »Ich verliere immer meine Mützen.«
»Frag doch die Putzfrau.«
Martinsson wollte gerade gehen, als ihm etwas einfiel. »Erinnerst du dich an Peter Hanson?«
»Wie könnte ich ihn vergessen?« antwortete Wallander.
»Svedberg hat ihn vor ein paar Tagen angerufen, um sich nach einigen Details aus dem Vernehmungsprotokoll zu erkundigen. Dann erzählte er Peter Hanson von dem Einbruch in deine Wohnung, vielleicht könne der ja mal seine Beziehungen in der Szene spielen lassen. Svedberg meinte, es wäre einen Versuch wert. Heute rief Peter Hanson an und sagte, daß er vielleicht wüßte, wer das getan hat.«
»Oh, verdammt, prima! Wenn er mir meine Platten und Kassetten wiederbeschaffen kann, verzichte ich auf die Anlage!«
»Sprich morgen mit Svedberg. Und bleib nicht mehr so lange hier.«
»Du hast recht«, sagte Wallander und erhob sich.
|328| Martinsson blieb in der Tür stehen. »Glaubst du, wir kriegen ihn?« fragte er.
»Bestimmt. Wir schnappen ihn bestimmt. Konovalenko wird uns nicht entkommen.«
»Ich frage mich trotz allem, ob er überhaupt noch im Land ist.«
»Davon müssen wir ausgehen.«
»Und der Afrikaner, der seinen Finger verloren hat?«
»Konovalenko kann uns sicher eine Erklärung geben.«
Martinsson nickte zögernd.
»Noch etwas. Louise Åkerblom wird morgen beigesetzt.«
Wallander sah ihn schweigend an.
Das Begräbnis war um zwei am Mittwoch nachmittag. Bis zuletzt überlegte Wallander, ob er hingehen sollte oder nicht. Er hatte keine persönliche Beziehung zur Familie Åkerblom. Die Frau, die begraben werden sollte, war schon tot, als er in ihre Nähe kam. Außerdem konnte es vielleicht falsch aufgefaßt werden, daß ein Polizist anwesend war. Nicht zuletzt mit dem Gedanken daran, daß der Täter immer noch nicht verhaftet war. Wallander wußte selbst nicht recht, warum er zögerte. Vielleicht aus Neugier? Oder wegen des schlechten Gewissens? Als es ein Uhr war, zog er sich dann doch einen dunklen Anzug an. Nach seiner weißen Krawatte mußte er lange suchen. Victor Mabasha schaute ihm zu, als er vor dem Spiegel im Flur den Schlipsknoten band.
»Ich gehe zum Begräbnis der Frau, die Konovalenko getötet hat«, sagte er.
Victor Mabasha betrachtete ihn verwundert. »Jetzt erst? Bei uns begraben wir die Toten, so schnell es geht. Damit sie nicht umgehen.«
»Wir glauben nicht an Gespenster.«
»Die Geister sind keine Gespenster. Manchmal frage ich mich, wie es möglich ist, daß weiße Menschen so wenig verstehen.«
»Da könntest du recht haben. Vielleicht aber auch nicht. Es kann ja gerade umgekehrt sein.«
Dann ging er. Victor Mabashas Frage hatte ihn irritiert.
Wie kommt dieser schwarze Teufel dazu, mir Lehren zu erteilen, |329| dachte er. Was hätte er denn ohne mich und meine Hilfe angefangen?
Er parkte den Wagen ein Stück von der Kapelle entfernt am Krematorium und wartete, während die Glocken klangen und die schwarzgekleideten Menschen durch das Portal verschwanden. Kurz bevor der Eingang geschlossen wurde, ging er hinein und setzte sich ganz hinten hin. Ein Mann, der ein paar Reihen vor ihm saß, drehte sich um und grüßte. Es war ein Journalist von
Ystads Allehanda
.
Wallander lauschte der Orgelmusik und verspürte sofort einen Kloß im Hals. Beerdigungen belasteten ihn stark. Er fürchtete sich vor dem Tag, an dem er seinen Vater zu Grabe tragen müßte. Das Begräbnis seiner Mutter vor elf Jahren weckte noch immer unangenehme Erinnerungen in ihm. Damals hatte er am Sarg eine kurze Rede halten sollen, war aber zusammengebrochen und aus der Kirche gestürzt.
Er versuchte seine Erregung zu beherrschen, indem er die Menschen in der Kapelle betrachtete. Ganz vorn saßen Robert Åkerblom und die zwei Töchter, beide in weißen Kleidern. Neben ihnen hatte Pastor Tureson, der die Bestattung leiten sollte, Platz genommen.
Plötzlich mußte er an die
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