Wallander 03 - Die weisse Löwin
Handschellen denken, die er in einer Schreibtischschublade im Haus der Åkerbloms gefunden hatte. Über eine Woche waren sie ihm nicht mehr in den Sinn gekommen.
Es gibt eine polizeiliche Neugier neben der unmittelbaren Arbeit an dem Fall, dachte er. Vielleicht eine Deformation, der wir ausgesetzt sind, weil wir so viele Jahre damit verbracht haben, ständig in den allerprivatesten Verstecken der Menschen herumzukramen. Ich weiß, daß diese Handschellen für die Ermittlungen im Mordfall keine Bedeutung mehr haben. Dennoch versuche ich zu verstehen, warum sie dort in der Schublade lagen und welche Bedeutung sie für Louise Åkerblom hatten, vielleicht auch für ihren Mann.
Unwirsch schüttelte er seine Gedanken ab und konzentrierte sich auf das Begräbnis. Während der Rede Pastor Turesons geriet er kurz in Augenkontakt mit Robert Åkerblom. Trotz der Entfernung |330| konnte er das unendliche Leid und die Verlassenheit spüren. Der Kloß im Hals war wieder da, und die Tränen stiegen auf. Um die Beherrschung wiederzugewinnen, dachte er an Konovalenko. Wie wahrscheinlich die meisten Polizisten im Lande war Wallander insgeheim kein überzeugter Befürworter des absoluten Verbots der Todesstrafe. Zwar schien es ihm ein Skandal, daß sie ausgerechnet bei Landesverrat in Kriegszeiten abgeschafft worden war, doch ging es ihm nicht darum, die Todesstrafe als Reaktion auf gewisse Arten von Verbrechen zuzulassen. Es war eher so, daß ihn gewisse Morde, gewisse Vergewaltigungen und gewisse Drogendelikte in ihrer Brutalität und totalen Menschenverachtung auf den Gedanken bringen konnten, ein Mensch habe alle Rechte auf sein Leben verwirkt. Er sah ein, daß seine Überlegungen widersprüchlich waren und daß eine solche Gesetzgebung sowohl unmöglich als auch sinnlos wäre. Eigentlich waren es nur seine unreflektierten Erfahrungen, unsortiert, aber schmerzlich, die da sprachen. Das, was zu sehen er als Polizist gezwungen war, zog Reaktionen nach sich, irrationale und schmerzliche.
Nach dem Zeremoniell gab er Robert Åkerblom und anderen Trauergästen, die der Toten besonders nahegestanden hatten, die Hand. Er vermied es, die beiden Töchter anzusehen, weil er Angst hatte, daß die Tränen wieder aufstiegen.
Pastor Tureson führte ihn vor der Kapelle zur Seite.
»Wir schätzen es sehr, daß Sie gekommen sind. Niemand hatte eigentlich damit gerechnet, daß die Polizei jemanden zur Beerdigung schicken würde.«
»Ich bin nicht geschickt worden, ich hatte selbst das Gefühl, kommen zu wollen.«
»Um so besser, daß Sie da sind. Sie suchen immer noch den Mann, der hinter der Tragödie steckt?«
Wallander nickte.
»Aber Sie werden ihn verhaften?«
Wieder nickte Wallander. »Ja, früher oder später. Wie geht es Robert Åkerblom? Und den Töchtern?«
»Die Geborgenheit in der Gemeinde bedeutet gerade jetzt alles für sie. Außerdem haben sie ihren Gott.«
|331| »Er hat seinen Glauben also nicht verloren«, sagte Wallander ruhig.
Pastor Tureson runzelte die Stirn. »Warum sollte er seinen Gott verlassen für etwas, was Menschen ihm und seiner Familie angetan haben?«
»Eben«, meinte Wallander friedlich. »Warum wohl.«
»Wir treffen uns in einer Stunde in der Kirche. Sie sind willkommen.«
»Danke, aber ich muß wieder an die Arbeit.«
Sie gaben sich die Hand, und Wallander ging zu seinem Wagen. Er merkte plötzlich, daß rund um ihn Frühling war.
Wenn nur Victor Mabasha erst weg ist, dachte er. Wenn wir nur Konovalenko geschnappt haben. Dann werde ich mich dem Frühling widmen.
Am Donnerstag morgen fuhr Wallander seine Tochter zum Haus des Vaters in Löderup. Als sie ankamen, beschloß sie plötzlich, über Nacht zu bleiben. Sie sah zu dem verwilderten Garten hinüber und wollte ihn in Ordnung bringen, bevor sie nach Ystad zurückkehrte. Das würde mindestens zwei Tage dauern.
»Wenn du es dir anders überlegst, ruf einfach an«, sagte Wallander.
»Du könntest dich ruhig dafür bedanken, daß ich deine Wohnung saubergemacht habe. Es sah ja gefährlich aus.«
»Ich weiß. Danke.«
»Wie lange muß ich bleiben? Ich habe wirklich viel zu tun in Stockholm.«
»Nicht mehr lange«, antwortete Wallander und merkte, wie wenig überzeugend er klang. Aber zu seiner Verwunderung gab sie sich mit der Antwort zufrieden.
Danach führte Wallander ein langes Gespräch mit Staatsanwalt Åkesson. Zusammen mit Martinsson und Svedberg hatte er nach seiner Rückkehr alle Ergebnisse der Ermittlungen zusammengestellt.
Gegen
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