Wallander 03 - Die weisse Löwin
Küchenfenster. Der Morgen graute bereits. Die Luft war warm, und er dachte daran, daß er bald unter ewiger Sonne leben würde, weit entfernt von diesem Klima, wo sich das Wetter von Tag zu Tag ändern konnte.
Er legte sich einige Stunden schlafen. Als er aufwachte, sah er auf seine Armbanduhr. Viertel nach neun, Montag, 18. Mai. Inzwischen mußte Wallander gemerkt haben, daß seine Tochter entführt worden war. Nun wartete er darauf, daß Konovalenko von sich hören ließ.
Er soll ruhig noch ein wenig warten, dachte Konovalenko. Mit jeder Stunde, die vergeht, wird das Schweigen unerträglicher sein, wird die Unruhe größer als das Vermögen, sie zu kontrollieren.
Die Luke zum Kellerloch, in dem die Tochter lag, befand sich genau hinter seinem Stuhl. Ab und zu lauschte er. Aber alles war still.
Konovalenko blieb noch eine Weile sitzen und sah nachdenklich aus dem Fenster. Dann stand er auf, holte ein Kuvert und steckte das abgeschnittene Haar und die Kette hinein.
Bald würde er Kontakt zu Wallander aufnehmen.
Die Nachricht von der Entführung Lindas traf Wallander wie ein Schwindelanfall.
Dann gewannen Verzweiflung und Wut die Oberhand. Sten Widén, der in der Küche war und den Anruf entgegengenommen hatte, beobachtete verblüfft, wie Wallander das Telefon von der Wand riß und es durch die geöffnete Tür in das Zimmer schleuderte, das ihm als Büro diente. Aber dann sah er Wallanders Angst. Sie trat offen zutage, nackt und bloß. Widén verstand, daß etwas Furchtbares geschehen sein mußte. Mitleid weckte oft sehr |403| zwiespältige Vorstellungen bei ihm. Diesmal jedoch nicht. Wallanders Verzweiflung über das, was der Tochter geschehen war, und darüber, daß er nichts tun konnte, hatte ihn schwer mitgenommen. Er hatte sich neben ihn gekniet und ihm auf die Schulter geklopft.
Währenddessen hatte Svedberg eine wütende Energie freigesetzt. Nachdem er sicher war, daß Wallander nicht verletzt und auch nicht besonders geschockt zu sein schien, hatte er Peters zu Hause angerufen. Peters’ Frau hatte sich gemeldet und mitgeteilt, daß sich ihr Mann nach der Nachtschicht hingelegt habe. Svedberg hatte ihr jedoch durch ein Brüllen sehr schnell klargemacht, daß er unmittelbar geweckt werden mußte. Als Peters verschlafen ans Telefon kam, hatte ihm Svedberg eine halbe Stunde gegeben, Norén zu holen und sich dann an dem Haus einzufinden, das zu bewachen ihre Aufgabe gewesen war. Peters, der Svedberg gut kannte, wußte, daß dieser ihn niemals geweckt hätte, wenn nicht ein Ernstfall eingetreten wäre. Er stellte keine Fragen, sondern versprach, sich zu beeilen. Er rief Norén an, und als sie zum Haus von Wallanders Vater kamen, konfrontierte Svedberg sie brutal mit dem Geschehenen.
»Wir können nur sagen, wie es war«, sagte Norén, der schon am Abend zuvor einen leisen Verdacht gehabt hatte, daß mit dem brennenden Faß etwas nicht stimmte.
Svedberg hörte sich seinen Bericht an. Peters, der die treibende Kraft gewesen war, den Posten zu verlassen und zum Feuer zu fahren, schwieg. Aber Norén wälzte die Verantwortung nicht auf ihn ab. Er stellte es so dar, als hätten sie den Entschluß gemeinsam gefaßt.
»Ich hoffe für euch, daß Wallanders Tochter nichts geschieht«, sagte Svedberg.
»Entführt?« fragte Norén. »Von wem denn? Und warum?«
Svedberg sah sie ernst an, bevor er antwortete. »Ich nehme euch jetzt ein Versprechen ab. Und wenn ihr es haltet, werde ich versuchen zu vergessen, daß ihr gestern gegen ausdrückliche Anweisungen gehandelt habt. Wenn es mit dem Mädchen gutgeht, wird niemand etwas erfahren. Ist das klar?«
|404| Beide nickten.
»Ihr habt gestern abend keinen Brand gehört oder gesehen. Und vor allem: Wallanders Tochter ist nicht entführt worden. Mit anderen Worten: Es ist überhaupt nichts passiert.«
Peters und Norén sahen ihn verständnislos an.
»Ich meine, was ich sage«, wiederholte Svedberg. »Nichts ist geschehen. Merkt euch das. Nichts. Ihr dürft mir ruhig glauben, wenn ich euch sage, daß das wichtig ist.«
»Können wir irgend etwas tun?« fragte Peters.
»Ja. Fahrt nach Hause und schlaft weiter.«
Dann suchte Svedberg auf dem Hof und drinnen vergeblich nach Spuren. Er fuhr auch zu dem Wäldchen, wo das Benzinfaß stand. Es gab Reifenabdrücke an der Brandstelle, das war alles. Er kehrte zum Haus zurück und sprach noch einmal mit Wallanders Vater. Er saß in der Küche, trank Kaffee und war sehr verängstigt.
»Was ist geschehen?« fragte er
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