Wallander 03 - Die weisse Löwin
unruhig. »Das Mädchen ist weg.«
»Ich weiß nicht, was geschehen ist«, antwortete Svedberg wahrheitsgemäß. »Aber es kommt sicher alles wieder in Ordnung.«
»Glaubst du?« sagte Wallanders Vater zweifelnd. »Ich habe gehört, wie aufgeregt Kurt am Telefon war. Übrigens, wo ist er denn? Was geht hier eigentlich vor?«
»Am besten, er erklärt es selbst«, sagte Svedberg und erhob sich. »Ich treffe mich mit ihm.«
»Grüß ihn von mir. Und sag ihm, daß es mir gutgeht.«
»Das werde ich tun«, sagte Svedberg und ging.
Wallander stand barfuß auf dem Kies vor Sten Widéns Haus, als Svedberg aus dem Wagen stieg. Es war fast elf Uhr vormittags. Noch auf dem Hof erklärte Svedberg detailliert, was geschehen sein mußte. Er verschwieg nicht, wie leicht sich Peters und Norén für die kurze Zeit hatten weglocken lassen, die für die Entführung nötig gewesen war. Zum Schluß richtete er die Grüße des Vaters aus.
Wallander hatte die ganze Zeit aufmerksam zugehört. Dennoch wirkte er auf Svedberg irgendwie abwesend. Für gewöhnlich |405| sah ihm Wallander in die Augen, wenn sie miteinander sprachen. Diesmal aber irrte Wallanders Blick ziellos umher.
Svedberg vermutete, daß er in Gedanken bei seiner Tochter war, wo immer sie auch gefangengehalten wurde.
»Keine Spuren?« fragte Wallander.
»Keine einzige.«
Wallander nickte. Sie gingen ins Haus.
»Ich habe versucht nachzudenken«, sagte Wallander, als sie sich gesetzt hatten. Svedberg sah, daß seine Hände zitterten.
»Natürlich war es Konovalenko«, fuhr er fort. »Das habe ich befürchtet. Alles ist mein Fehler. Ich hätte dort sein sollen. Dann wäre alles anders gelaufen. Nun benutzt er meine Tochter, um mich zu kriegen. Offensichtlich hat er keine Komplizen, sondern operiert auf eigene Faust.«
»Mindestens einer muß ihm geholfen haben«, wandte Svedberg vorsichtig ein. »Wenn ich Peters und Norén richtig verstanden habe, so kann er unmöglich erst das Benzinfaß angezündet und dann deinen Vater gefesselt und deine Tochter entführt haben.«
Wallander überlegte einen Augenblick. »Das Benzinfaß wurde von Tania angezündet, Vladimir Rykoffs Frau. Also sind sie zu zweit. Wo sie sich aufhalten, wissen wir nicht. Vermutlich in einem Haus auf dem Lande, irgendwo in der Nähe von Ystad. In einem abgelegenen Haus. Ein Haus, das wir gefunden hätten, wäre die Situation eine andere gewesen. Unter diesen Umständen geht es nicht.«
Sten Widén näherte sich auf leisen Sohlen und stellte Kaffee auf den Tisch.
Wallander sah ihn an. »Ich brauche etwas Stärkeres.«
Sten Widén kam mit einer halbleeren Whiskyflasche wieder. Ohne zu zögern nahm Wallander einen Schluck direkt aus der Flasche.
»Ich habe versucht auszurechnen, was passieren wird«, sagte er dann. »Er wird Kontakt zu mir aufnehmen. Und er wird das Haus meines Vaters einbeziehen. Dort werde ich warten, bis er |406| von sich hören läßt. Was er mir vorschlagen wird, weiß ich nicht. Bestenfalls wird er mein Leben gegen ihres tauschen. Schlimmstenfalls etwas, was ich mir nicht vorstellen kann.«
Er sah Svedberg an.
»So habe ich es mir gedacht. Liege ich da richtig?«
»Wahrscheinlich hast du recht. Die Frage ist nur, was wir tun sollen.«
»Niemand wird etwas tun. Keine Polizei rund um das Haus, nichts. Konovalenko riecht die geringste Gefahr. Ich muß mit meinem Vater im Haus allein sein. Deine Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, daß niemand in die Nähe kommt.«
»Das schaffst du nicht allein. Du mußt dir von uns helfen lassen.«
»Ich will nicht, daß meine Tochter stirbt. Ich muß das allein klären.«
Svedberg begriff, daß das Gespräch beendet war. Wallander hatte sich entschieden und würde sich nicht umstimmen lassen.
»Ich fahr dich hinaus nach Löderup«, sagte Svedberg.
»Ist nicht nötig, du kannst den Duett nehmen«, sagte Sten Widén.
Wallander nickte.
Als er aufstand, wäre er beinahe gestürzt. Er mußte sich an der Tischkante festhalten. »Keine Gefahr«, sagte er.
Svedberg und Sten Widén standen auf dem Hof und sahen ihn im Duett davonfahren.
»Wie soll das nur enden?« sagte Svedberg.
Sten Widén antwortete nicht.
Als Wallander nach Löderup kam, stand sein Vater im Atelier und malte.
Zum ersten Mal sah Wallander, daß er sein ewiges Thema aufgegeben hatte: die Landschaft in der Abendsonne, mit oder ohne Auerhahn am Bildrand. Nun malte er eine andere Landschaft, finsterer, chaotischer. Es gab keinen Zusammenhang in der Komposition.
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