Wallander 03 - Die weisse Löwin
nicht naß werden wollte. »Sie hat die Fahrt bezahlt. Alles klar. Eine Quittung ist nicht nötig.«
Wallander nickte. Tania, dachte er. Sie hat die Rolle ihres Mannes und also auch die Botengänge übernommen.
Das Taxi verschwand. Wallander war allein im Haus. Der Vater stand schon draußen im Atelier und malte.
Es war ein gefütterter Umschlag. Er untersuchte ihn genau, bevor er ihn vorsichtig an einer Schmalseite aufriß. Erst konnte er nicht erkennen, was der Brief enthielt. Dann sah er Lindas Haar und die Halskette, die sie einmal von ihm bekommen hatte.
Er saß wie versteinert und starrte auf die abgeschnittenen Strähnen, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Dann begann er zu weinen. Der Schmerz überwand eine weitere Grenze, und er konnte die Tränen nicht zurückhalten. Was hatte Konovalenko ihr angetan? Es war seine Schuld, er hatte sie da hineingezogen.
Dann zwang er sich, den kurzen Begleitbrief zu lesen.
In genau zwölf Stunden würde Konovalenko wieder Kontakt zu ihm aufnehmen. Sie sollten sich treffen, um ihre Probleme zu klären, schrieb er. Bis dahin sollte Wallander abwarten. Jede Verbindung zur Polizei würde das Leben seiner Tochter gefährden.
Es gab keine Unterschrift.
Wieder betrachtete er das Haar seiner Tochter. Die Welt war hilflos angesichts solcher Bosheit. Wie sollte er da etwas tun können, um Konovalenko zu stoppen?
Er überlegte sich, daß dies wohl genau die Gedanken waren, die Konovalenko ihm aufzwingen wollte. Er hatte ihm zwölf Stunden gegeben, sich von allen Hoffnungen auf eine andere Lösung als die von Konovalenko diktierte zu befreien.
Wallander saß völlig reglos auf seinem Stuhl.
Er wußte nicht, was er tun sollte.
|410| 27
Karl Evert Svedberg war vor unendlich langer Zeit aus einem einzigen Grund Polizist geworden, und diesen Grund versuchte er geheimzuhalten.
Er hatte große Angst vor der Dunkelheit.
Von frühester Kindheit an ließ er nachts die Taschenlampe brennen. Im Gegensatz zu den meisten anderen hatte seine Furcht nicht abgenommen, je älter er wurde. Im Gegenteil: im Teenageralter war seine Angst noch gestiegen und damit auch das beschämende Gefühl, an einem Defekt zu leiden, der kaum anders als Feigheit genannt werden konnte. Sein Vater, der als Bäcker jeden Morgen um halb drei aufstand, schlug ihm vor, seinen Beruf zu ergreifen. Denn da er ja nachts arbeiten würde, müßte sich das Problem von selbst lösen. Seine Mutter, die Modistin war und von ihrem immer weiter schrumpfenden Kundenkreis wegen ihrer Kunst, persönliche und ausdrucksvolle Damenhüte zu formen, sehr geschätzt wurde, sah das Problem bedeutend ernster. Sie nahm ihren Sohn mit zum Kinderpsychologen, doch der konnte nichts anderes als versichern, daß die Angst des Jungen vor der Dunkelheit mit den Jahren verschwinden würde. Aber es kam anders. Seine Furcht wuchs, und er fand nie heraus, worauf sie sich gründete. Schließlich entschied er sich, Polizist zu werden. Er bildete sich ein, seine Angst bekämpfen zu können, indem er seinen persönlichen Mut stärkte. An diesem Frühlingstag, dem 19. Mai, erwachte er jedoch bei brennender Nachttischlampe. Außerdem hatte er es sich angewöhnt, sogar die Schlafzimmertür abzuschließen. Er wohnte allein in einer Wohnung im Zentrum von Ystad. Er war in dieser Stadt geboren und verließ sie ungern, selbst wenn es sich nur um einen kurzen Ausflug handelte.
Er knipste die Lampe aus, streckte sich und stand auf. Er hatte schlecht geschlafen. Die Geschehnisse um Kurt Wallander, die am Tag zuvor in der Entdeckung gipfelten, daß der Verbrecher den Vater gefesselt und die Tochter entführt hatte, erregten und ängstigten ihn. Ihm war klar, daß er Wallander helfen mußte. In |411| der Nacht hatte er gegrübelt, was er tun konnte, ohne das Versprechen zu brechen, das er Wallander gegeben hatte, nämlich zu schweigen. Endlich, kurz vor Tagesanbruch, hatte er sich entschieden. Er würde versuchen, das Haus zu finden, in dem sich Konovalenko versteckte. Er nahm an, daß auch Wallanders Tochter mit größter Wahrscheinlichkeit in ebendiesem Haus gefangengehalten wurde.
Kurz vor acht betrat er das Polizeigebäude. Der einzige Ausgangspunkt für ihn waren die Ereignisse auf dem militärischen Übungsgelände vor einigen Nächten. Martinsson hatte die wenigen persönlichen Gegenstände untersucht, die sie in den Kleidern der toten Männer gefunden hatten. Nichts Aufsehenerregendes war darunter gewesen. Aber Svedberg hatte im Morgengrauen
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