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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Der Wald schien direkt aus dem See zu wachsen, die Berge im Hintergrund wälzten sich über den Betrachter.
    |407| Er legte die Pinsel ab, als Wallander eine Weile hinter ihm gestanden hatte. Als er sich umdrehte, merkte Wallander, daß er Angst hatte.
    »Wir gehen rein«, sagte der Vater. »Ich habe die Haushaltshilfe weggeschickt.«
    Er legte seinem Sohn eine Hand auf die Schulter. Wallander konnte sich nicht erinnern, wann sein Vater zuletzt eine solche Geste gemacht hatte.
    Als sie ins Haus kamen, berichtete Wallander, was geschehen war. Er merkte, daß sein Vater nicht alle Geschehnisse richtig zuordnen konnte, aber er wollte ihm trotzdem ein Bild von den Ereignissen der letzten drei Wochen vermitteln. Er verschwieg auch nicht, daß er einen Menschen getötet hatte und daß seine Tochter in großer Gefahr schwebte. Der Mann, der sie gefangenhielt und den Vater ans Bett gefesselt hatte, war absolut rücksichtslos.
    Danach ließ der alte Mann die Schultern hängen und starrte auf seine Hände.
    »Ich werde den Fall lösen«, sagte Wallander. »Ich bin doch ein tüchtiger Polizist. Jetzt werde ich erst einmal abwarten, bis dieser Mann Kontakt zu mir aufnimmt. Das kann jede Minute geschehen. Es kann aber auch bis morgen dauern.«
    Der Nachmittag ging in den Abend über, ohne daß Konovalenko sich gemeldet hätte. Svedberg rief zweimal an, aber Wallander hatte ihm nichts Neues mitzuteilen. Er schickte seinen Vater hinaus ins Atelier, damit er weitermalen konnte. Er hielt es nicht aus, wie er in der Küche saß und auf seine Hände starrte. Für gewöhnlich hätte sich der Vater furchtbar darüber aufgeregt, Befehle von seinem Sohn entgegennehmen zu müssen. Diesmal aber stand er ohne Protest auf und ging. Wallander lief hin und her, setzte sich einen Augenblick, um sofort wieder aufzustehen. Ab und zu ging er hinaus auf den Hof und spähte über die Felder. Dann kehrte er ins Haus zurück und nahm seine Wanderung wieder auf. Zweimal versuchte er zu essen, brachte aber keinen Bissen hinunter. Seine qualvolle Angst, seine Unruhe und seine Machtlosigkeit ließen ihn nicht mehr klar denken. Immer wieder kam ihm Robert Åkerblom in |408| den Sinn. Aber er verscheuchte die Gedanken aus Angst, sie könnten sich wie ein böses Omen auf das Schicksal seiner Tochter auswirken.
    Es wurde Abend, und Konovalenko hatte immer noch nichts von sich hören lassen. Svedberg meldete sich und teilte mit, daß er nun in seiner Wohnung zu erreichen sei. Wallander rief Sten Widén an, ohne ihm eigentlich etwas zu sagen zu haben. Um zehn schickte er seinen Vater ins Bett. Es war ein heller Frühlingsabend. Eine Weile saß er an der Küchentür auf der Treppe. Als er sicher war, daß sein Vater eingeschlafen war, rief er Baiba Liepa in Riga an. Erst nahm niemand ab. Aber als er es eine halbe Stunde später noch einmal versuchte, war sie zu Hause. Ganz ruhig berichtete er, daß seine Tochter von einem sehr gefährlichen Mann entführt worden war. Er ließ sie wissen, daß er sonst niemanden hatte, mit dem er reden konnte, und in diesem Augenblick schien es ihm die volle Wahrheit zu sein. Dann bat er sie noch einmal um Entschuldigung für die Nacht, in der er betrunken angerufen und sie geweckt hatte. Er versuchte, ihr seine Gefühle zu beschreiben, aber er hatte nicht den Eindruck, daß es ihm gelang. Die englischen Worte waren zu weit weg. Bevor er das Gespräch beendete, versprach er ihr, wieder von sich hören zu lassen. Sie lauschte ihm und schwieg fast die ganze Zeit. Später fragte er sich, ob er wirklich mit ihr gesprochen hatte oder ob es Einbildung gewesen war.
    Es wurde eine schlaflose Nacht. Dann und wann ließ er sich in einen der alten Sessel seines Vaters sinken und schloß die Augen. Aber immer, wenn er gerade einnicken wollte, schreckte er mit einem Ruck wieder hoch. Er nahm sein ruheloses Wandern wieder auf, und es war, als liefe er durch sein ganzes Leben. Im Morgengrauen beobachtete er einen Hasen, der reglos auf dem Hof saß.
    Nun war es Dienstag, der 19.   Mai.
    Kurz nach fünf begann es zu regnen.
     
    Der Bote kam kurz vor acht.
    Ein Taxi aus Simrishamn fuhr auf den Hof. Wallander, der das Auto schon von weitem hatte kommen hören, stand auf der |409| Treppe, als der Wagen hielt. Der Fahrer stieg aus und übergab ihm ein dickes Kuvert.
    Der Brief war an seinen Vater adressiert.
    »Der ist an meinen Vater. Woher kommt er?«
    »Eine Dame hat ihn in Simrishamn bei uns abgegeben«, sagte der Fahrer, der es eilig hatte und

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