Wallander 03 - Die weisse Löwin
wiedergewonnen. Es ist nur ein Moment der Schwäche, dachte er. Ich habe mich von der anhaltenden negativen Einstellung der Südafrikaner englischer Herkunft gegen uns Buren beeinflussen lassen. Sie wissen, daß wir die eigentliche Seele dieses Landes sind. Das von der Geschichte und von Gott auserwählte Volk auf diesem Kontinent sind wir und nicht sie, daher der unselige Neid, den sie nicht ablegen können.
Er bezahlte für sein Essen, ging lächelnd an dem Tisch vorbei, an dem sein Schatten saß, ein übergewichtiger, stark schwitzender kleiner Mann, und fuhr dann nach Hause. Im Rückspiegel sah er, wie sein Bewacher durch einen anderen ersetzt wurde. Als er das Auto in die Garage gestellt hatte, setzte er seine methodische Analyse fort, wer ihn verraten und Scheepers mit Informationen versorgt haben konnte.
Er goß sich ein Gläschen Portwein ein und ging ins Wohnzimmer. Er zog die Gardinen vor und löschte alle Lampen außer einer schwachen Tischbeleuchtung. In halbdunklen Räumen konnte er am besten nachdenken.
Die Tage mit Scheepers hatten seinen Haß auf die jetzige Ordnung im Lande noch gesteigert. Er konnte die Demütigung nicht verwinden, daß er als leitender, zuverlässiger und loyaler Beamter im Nachrichtendienst gesellschaftsfeindlicher Umtriebe verdächtigt wurde. Was er betrieb, war doch gerade das Gegenteil! Ohne seine und die geheime Arbeit des Komitees wäre das Risiko des nationalen Zusammenbruchs greifbar und bestünde nicht nur in der Einbildung. Als er da mit seinem Portwein |503| saß, war er mehr als je zuvor davon überzeugt, daß Nelson Mandela sterben mußte. Er sah die Aktion nicht mehr als ein Attentat, sondern als eine Hinrichtung an, die den ungeschriebenen Gesetzen entsprach, die er vertrat.
Es gab noch etwas, was ihn beunruhigte und zu seiner Aufregung beitrug. Von dem Augenblick an, als der ihm ergebene Bürodiener im persönlichen Stab des Präsidenten ihn angerufen hatte, war ihm klar gewesen, daß jemand Scheepers Informationen gegeben haben mußte, an die er auf anderen Wegen nicht herangekommen wäre. Also hatte ihn jemand aus seinem engsten Umfeld verraten. Er mußte sehr schnell herausfinden, wer das war. Was seine Unruhe noch steigerte, war die Tatsache, daß sogar Franz Malan als Schuldiger in Frage kam. Sowohl er als auch die anderen Mitglieder des Komitees. Abgesehen von diesen Männern gab es möglicherweise zwei, vielleicht drei Mitarbeiter im Nachrichtendienst, die in seinem Leben geforscht und sich aus unbekannten Gründen entschlossen haben konnten, ihn auszuliefern.
Er saß im schwachen Licht und rief sich diese Männer ins Gedächtnis, jeden einzeln, suchte nach Anhaltspunkten, fand jedoch nichts.
Er betrieb seine Suche teils intuitiv, teils unter Auswertung von Fakten. Er fragte sich, wer durch den Verrat etwas gewinnen konnte, wer ihn so haßte, daß die Rache das Risiko wert war, entdeckt zu werden. So reduzierte er die Gruppe der in Frage kommenden Personen von sechzehn auf acht. Dann begann er noch einmal von vorn, und jedesmal nahm die Zahl denkbarer Kandidaten ab.
Zuletzt war keiner mehr übrig. Seine Frage blieb unbeantwortet.
Und dann dachte er zum erstenmal daran, daß Miranda es gewesen sein konnte. Denn nun wurde der Zwang übermächtig, auch sie einzubeziehen. Der Gedanke regte ihn auf, er war tabu, unmöglich. Aber der Verdacht blieb hartnäckig, und er sagte sich, daß er sie damit konfrontieren mußte. Er ging davon aus, daß das Mißtrauen ungerechtfertigt war. Da er sicher war, daß sie ihn nicht belügen konnte, ohne daß er es sofort spürte, würde das |504| Mißtrauen vergehen, sobald er mit ihr gesprochen hatte. Er mußte seine Schatten an einem der nächsten Tage abschütteln und sie und Matilda in Bezuidenhout besuchen. Die Lösung stand auf der Liste der Personen, die er gerade in Gedanken durchgegangen war. Er hatte sie nur noch nicht gefunden. Er verdrängte die Gedanken und begann statt dessen, sich seiner Münzsammlung zu widmen. Das Betrachten der Schönheit der verschiedenen Münzen und die Gedanken an ihren Wert ließen ihn ruhiger werden. Er nahm ein blinkendes Goldstück in die Hand. Es war ein früher Krügerrand, der eine so zeitlose Beständigkeit bewiesen hatte wie die Traditionen der Buren. Er hielt ihn ins Licht der Tischlampe und sah, daß er einen fast unsichtbaren kleinen Schmutzfleck abbekommen hatte. Mit einem fein gefalteten Putztuch polierte er vorsichtig die goldene Oberfläche der Münze, bis sie wieder
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