Wallander 03 - Die weisse Löwin
einen Zettel neben den Apparat gelegt. Jetzt begriff sie, warum sie das getan hatte.
Eine Frau meldete sich unter seinem Namen, Judith Scheepers. Sie rief ihren Mann, der schnell ans Telefon kam. Er versprach, sofort nach Bezuidenhout zu kommen, und bat sie, nichts zu unternehmen, nur ruhig zu warten.
Er erklärte Judith, daß das Abendessen warten mußte. Aber er sagte nicht, warum, und sie unterdrückte den Wunsch zu fragen. |509| Bald würde sein Spezialauftrag erledigt sein, hatte er ihr erst am Tag zuvor versichert. Dann würde alles wieder wie gewohnt sein, sie würden in den Krüger-Nationalpark zurückkehren und nachsehen, ob die weiße Löwin noch da war und ob sie immer noch Angst vor ihr hätten. Er versuchte, Borstlap zu erreichen und probierte verschiedene Nummern, bis er ihn endlich am Apparat hatte. Er gab ihm die Adresse, bat ihn aber, das Haus erst zu betreten, wenn er selbst angekommen wäre.
Als er nach Bezuidenhout kam, stand Borstlap an seinem Wagen und wartete. Miranda öffnete die Tür. Sie gingen ins Wohnzimmer. Scheepers legte Borstlap die Hand auf die Schulter. Noch hatte er nichts verraten.
»Der Mann, der tot da drinnen liegt, ist Jan Kleyn«, sagte er.
Borstlap sah ihn verwundert an und wartete darauf, daß er weitersprach, was allerdings nicht geschah.
Jan Kleyn war tot. Es fiel auf, wie bleich und mager sein Gesicht war, wie ausgemergelt. Scheepers überlegte, ob dies nun das Ende einer bösen oder einer tragischen Geschichte war. Aber er konnte sich noch nicht entscheiden.
»Er hat mich geschlagen«, erklärte Miranda. »Ich habe ihn erschossen.«
Als sie sprach, bemerkte Scheepers, wie Matilda erstaunt zusammenzuckte. Ihm wurde klar, daß sie ihn getötet, ihren Vater erschossen hatte. Daß Miranda geschlagen worden war, sah er an ihrem blutigen Gesicht. Hat Jan Kleyn noch begriffen, daß er sterben würde und daß seine Tochter die letzte Waffe hielt, die je auf ihn gerichtet wurde? fragte er sich.
Er sagte nichts, sondern nickte Borstlap zu, ihm in die Küche zu folgen. Hinter ihnen schloß er die Tür. »Es ist mir egal, wie du es anstellst«, sagte er. »Aber ich will, daß du die Leiche hier wegbringst und es so aussehen läßt, als sei es Selbstmord gewesen. Jan Kleyn ist verhört worden. Das hat ihn tief getroffen. Er hat seine Ehre verteidigt, indem er sich das Leben nahm. Das muß als Motiv reichen. Es dürfte nicht schwer sein, Ereignisse zu vertuschen, die mit dem Nachrichtendienst zu tun haben. Ich möchte, daß du das noch heute abend oder in der Nacht erledigst.«
|510| »Ich riskiere meine Stellung«, sagte Borstlap.
»Du hast mein Wort, daß du nichts riskierst.«
Borstlap sah ihn lange an. »Wer sind diese Frauen?« fragte er.
»Frauen, denen du nie begegnet bist.«
»Es geht natürlich um die Sicherheit Südafrikas«, murmelte Borstlap, und Scheepers bemerkte seine müde Ironie.
»Ja«, bestätigte er. »Genau darum geht es.«
»Noch eine Lüge«, sagte Borstlap. »Unser Land ist wie ein Fließband, an dem Lügen produziert werden, rund um die Uhr. Was geschieht eigentlich, wenn all das hier zusammenfällt?«
»Warum versuchen wir, ein Attentat zu verhindern?« entgegnete Scheepers.
Borstlap nickte langsam. »Ich werde es tun.«
»Allein«, fügte Scheepers hinzu.
»Niemand wird mich sehen. Ich werfe den Körper irgendwo aus dem Wagen. Außerdem kann ich versuchen, es so einzurichten, daß ich selbst die Untersuchung leite.«
»Ich werde den Frauen Bescheid sagen. Sie werden aufmachen, wenn du wiederkommst.«
Borstlap verließ das Haus.
Miranda hatte ein Laken über Jan Kleyns Leiche gebreitet.
Scheepers hatte plötzlich all die Lügen satt, die ihn umgaben, Lügen, die es teilweise auch in ihm selbst gab. »Ich weiß, daß deine Tochter ihn erschossen hat«, sagte er. »Aber das spielt keine Rolle. Jedenfalls nicht für mich. Falls es euch anders geht, kann ich euch nicht helfen. Die Leiche wird heute nacht fortgeschafft. Der Polizist, der mit mir hier war, holt sie ab. Er wird einen Selbstmord daraus machen. Niemand wird herausfinden, was wirklich passiert ist. Die Garantie kann ich geben.«
Scheepers entdeckte einen Schimmer verwunderter Dankbarkeit in Mirandas Augen.
»In gewisser Weise war es vielleicht sogar Selbstmord«, fuhr er fort. »Ein Mann, der lebt wie er, kann vermutlich nicht mit einem anderen Ende rechnen.«
»Ich kann seinetwegen nicht einmal weinen«, sagte Miranda. »Da ist nichts.«
»Ich habe ihn gehaßt«, sagte
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