Wallander 03 - Die weisse Löwin
nicht gelungen, von Jan Kleyn irgendwelche Aussagen zu erhalten, die Aufschlüsse über das Komitee ermöglicht hätten. Dagegen war Scheepers jetzt sicher, daß das Attentat am |498| 3. Juli in Durban und nicht am 12. Juni in Kapstadt stattfinden sollte. Jedesmal, wenn er auf das Notizbuch zu sprechen kam, hatte Jan Kleyn Zeichen von Nervosität gezeigt, und es schien Scheepers unmöglich, daß ein Mensch physische Reaktionen wie zitternde Hände und Schweißausbrüche einfach vorspielen konnte.
Er gähnte. Wenn das Ganze vorbei wäre, würde er sich freuen. Gleichzeitig sagte er sich, daß die Möglichkeit, Wervey könnte mit seinem Einsatz zufrieden sein, gewachsen war.
Er dachte plötzlich an die weiße Löwin, die im Mondlicht am Fluß gelegen hatte.
Bald würden sie Zeit haben, sie wieder zu besuchen.
Ungefähr zur selben Zeit, als Jan Kleyn auf der südlichen Halbkugel das Gefängnis verließ, setzte sich Kurt Wallander im Polizeigebäude von Ystad an seinen Schreibtisch. Er hatte Gratulationen und Glückwünsche von den Kollegen entgegengenommen, die an diesem frühen Samstagmorgen zur Stelle waren. Mit seinem schiefen Lächeln hatte er unverständliche Antworten gemurmelt. Als er in sein Zimmer kam, schloß er die Tür hinter sich und legte den Telefonhörer neben die Gabel. Obwohl er keinen Tropfen Alkohol angerührt hatte, fühlte er sich körperlich so unwohl, als habe er sich am Abend zuvor betrunken. Er war niedergeschlagen, seine Hände zitterten. Außerdem schwitzte er. Er brauchte fast zehn Minuten, um so viel Kraft zu mobilisieren, die Kalmarer Polizei anzurufen. Blomstrand war am Apparat und übermittelte ihm die niederschmetternde Nachricht, daß es dem gesuchten Afrikaner vermutlich am vergangenen Abend gelungen war, das Land über Arlanda zu verlassen.
»Wie ist das möglich?« fragte Wallander erregt.
»Pech und Schlamperei«, antwortete Blomstrand und berichtete ihm, wie es zugegangen war.
»Wozu strengt man sich überhaupt an?« brach es aus Wallander heraus.
»Eine gute Frage«, bemerkte Blomstrand. »Ehrlich gesagt, ich stelle sie mir selbst oft.«
Wallander beendete das Gespräch und legte den Hörer neben |499| den Apparat. Er öffnete das Fenster und lauschte dem Gezwitscher eines Vogels im Baum gegenüber. Es würde ein warmer Tag werden. Bald war der 1. Juni. Der Mai war fast vorüber, und er hatte eigentlich gar nicht registriert, daß die Bäume ausschlugen, die Blumen aus dem Boden schossen und die Düfte intensiver wurden.
Er setzte sich wieder an den Schreibtisch. Eine Aufgabe konnte er nicht auf die kommende Woche verschieben. Er spannte ein Blatt Papier in die Schreibmaschine, nahm sein Englischwörterbuch zur Hand und begann, einen kurzgefaßten Bericht für die unbekannten Kollegen in Südafrika zu verfassen. Er legte dar, was er über das geplante Attentat und die Person Victor Mabashas wußte. Als er soweit war, dessen Tod zu schildern, legte er ein neues Blatt ein. Es dauerte eine Stunde, bis er mit dem Wichtigsten schloß, nämlich damit, daß ein Ersatzmann ausgewählt worden war, der Sikosi Tsiki hieß und leider aus Schweden hatte entkommen können. Vermutlich sei er auf dem Rückweg nach Südafrika. Zuletzt erklärte er, wer er war, suchte die Faxnummer der schwedischen Interpolsektion heraus und bat um Rückfrage, falls weitere Informationen benötigt wurden. Er gab das Fax in der Anmeldung ab und wies darauf hin, daß es unbedingt noch an diesem Tag nach Südafrika geschickt werden mußte.
Dann ging er nach Hause, zum erstenmal seit der Explosion.
Er fühlte sich fremd in seiner eigenen Wohnung. Die durch den Rauch geschädigten Möbel standen, mit einer Plastikplane abgedeckt, in einer Ecke. Er holte sich einen Stuhl und setzte sich.
Es war stickig.
Er fragte sich, wie er über alles, was geschehen war, hinwegkommen sollte.
Zur selben Zeit erreichte sein Schreiben als Fax Stockholm. Eine nicht besonders gut eingearbeitete Vertretung wurde damit beauftragt, die Mitteilung nach Südafrika weiterzuleiten. Aufgrund technischer Probleme und nachlässiger Kontrolle blieb die zweite Seite von Wallanders Bericht liegen. So kam es, daß die südafrikanische Polizei an diesem Abend des 23. Mai die Nachricht |500| erhielt, ein Attentäter namens Victor Mabasha sei auf dem Weg nach Südafrika. Die Kollegen bei Interpol in Johannesburg wunderten sich über die sonderbare Botschaft.
Sie trug keine Unterschrift und endete ziemlich abrupt.
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