Wallander 03 - Die weisse Löwin
blitzte.
Drei Tage darauf, am späten Mittwoch nachmittag, besuchte er Miranda und Matilda in Bezuidenhout. Da er nicht wollte, daß seine Schatten ihm bis Johannesburg folgten, entschied er sich, sie bereits in der Innenstadt von Pretoria abzuschütteln. Ein paar simple Täuschungsmanöver, dann war er Scheepers’ Leute los. Trotzdem schaute er immer wieder in den Rückspiegel, als er auf der Autobahn nach Johannesburg fuhr. Im Geschäftszentrum von Johannesburg vergewisserte er sich nochmals, daß ihm auch wirklich niemand gefolgt war. Erst dann bog er in die Straßen ein, die ihn nach Bezuidenhout brachten. Es war sehr ungewöhnlich, daß er die beiden mitten in der Woche und außerdem noch ohne Ankündigung besuchte. Es würde eine Überraschung für sie sein. Kurz bevor er ankam, hielt er noch an einem Lebensmittelladen und kaufte für ein gemeinsames Abendessen ein. Es war ungefähr halb sechs, als er in die Straße einbog, in der das Haus lag.
Zunächst glaubte er, sich zu täuschen.
Dann wurde ihm klar, daß der Mann, der gerade auf den Bürgersteig getreten war, wirklich aus Mirandas und Matildas Tür gekommen war.
Ein schwarzer Mann.
|505| Er bremste am Straßenrand und beobachtete den Mann, der ihm entgegenkam. Er klappte die Sonnenblende an der Frontscheibe herunter, um selbst nicht gesehen zu werden. Dann wandte er sich wieder dem Mann zu.
Plötzlich erkannte er ihn. Er hatte diesen Mann lange unter Aufsicht gehalten. Der Nachrichtendienst war der Meinung, daß er einer Gruppe innerhalb der radikalsten Fraktion des ANC angehörte, ohne daß dieser Verdacht jemals erhärtet werden konnte. Diese Gruppe, vermutete man, steckte hinter einer Anzahl von Bombenattentaten auf Geschäftshäuser und Restaurants. Der Mann nannte sich abwechselnd Martin, Steve oder Richard.
Er ging am Auto vorbei und verschwand.
Jan Kleyn saß völlig reglos. In seinem Kopf herrschte eine Verwirrung, die nicht so schnell zu beseitigen war. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr, der Verdacht, den er nicht hatte aufkommen lassen wollen, hatte sich verstärkt. Als er einen nach dem anderen abgehakt und schließlich niemanden mehr übrigbehalten hatte, war sein Gedanke richtig gewesen. Es gab nur noch Miranda. Es war wahr und zugleich unbegreiflich. Einen Moment lang wurde er ganz vom Schmerz beherrscht. Dann kam die Kälte. Es war, als ob in ihm ein Thermometer rasend schnell fiel, während die Wut wuchs. In einem Augenblick schlug Liebe in Haß um. Es ging um Miranda, nicht um Matilda, denn die sah er als unschuldig an, auch sie war ein Opfer des Verrats ihrer Mutter. Er krallte die Hände um das Lenkrad und bezwang seine Lust, zum Haus zu fahren, die Tür einzuschlagen und Miranda ein letztes Mal in die Augen zu sehen. Er würde sich dem Haus nicht eher nähern, bis er nicht äußerlich völlig ruhig war. Unkontrollierte Gefühle bedeuteten Schwäche. Und die wollte er weder Miranda noch Matilda gegenüber zeigen.
Jan Kleyn konnte es nicht begreifen. Und was er nicht begriff, machte ihn rasend. Er hatte sein Leben dem Kampf gegen die Unordnung gewidmet. Darin schloß er auch alles ein, was unklar war. Was er nicht verstand, mußte bekämpft werden, auf dieselbe Art und Weise wie andere Ursachen für die zunehmende Verwirrung und den Verfall der Gesellschaft.
|506| Er blieb lange im Auto sitzen. Es wurde dunkel. Erst als er vollkommen ruhig war, fuhr er zum Haus hinüber. Er bemerkte eine schwache Bewegung hinter der Gardine des großen Fensters, das zum Wohnzimmer gehörte. Er nahm die Tüten mit den Lebensmitteln und ging durch das Gartentor.
Als sie öffnete, lächelte er sie an. Für einen Augenblick, so kurz, daß er es kaum registrieren konnte, wünschte er sich, daß alles nur Einbildung wäre. Aber er wußte nun, was los war, und er mußte herausfinden, was dahintersteckte.
In der Dunkelheit des Zimmers konnte er ihr Gesicht kaum erkennen. »Ich komme zu Besuch«, sagte er. »Ich wollte euch überraschen.«
»Das ist ja noch nie vorgekommen«, erwiderte sie.
Ihre Stimme erschien ihm rauh und fremd. Er wünschte, er könnte sie deutlicher sehen. Ahnte sie, daß er den Mann gesehen hatte, der aus dem Haus gekommen war?
Im selben Augenblick trat Matilda aus ihrem Zimmer. Sie sah ihn wortlos an. Sie weiß es, dachte er. Sie weiß, daß ihre Mutter mich verraten hat. Wie soll sie sich anders schützen als durch Schweigen?
Er stellte die Lebensmitteltüten ab und zog die Jacke aus.
»Ich will, daß du gehst«,
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