Wallander 03 - Die weisse Löwin
getäuscht? Aber er hatte keine Zeit mehr, über Präsident de Klerks Haltung nachzugrübeln. |533| Er begab sich zu Borstlap, der inzwischen den von Johannesburg aus bestellten Wagen quittiert hatte. Sie fuhren auf dem kürzesten Weg zum Green Point Stadium, wo Nelson Mandela in drei Stunden sprechen sollte.
»Drei Stunden sind zuwenig«, meinte Borstlap. »Was glaubst du eigentlich, was wir in der Zeit schaffen können?«
»Ganz einfach: Wir müssen den Mann stoppen. Wir müssen!«
»Oder Mandela. Ich sehe keine andere Möglichkeit.«
»Das wird nicht gehen. Er wird um zwei das Rednerpult besteigen. De Klerk hat sich geweigert, an Mandela zu appellieren.«
Sie wiesen sich aus und wurden ins Stadion gelassen. Das Rednerpult stand schon bereit. Überall wehten die Fahnen des ANC und bunte Wimpel. Musiker und Tänzer bereiteten sich auf ihren Auftritt vor. Bald würden sich die ersten Zuhörer aus den Wohngebieten Langa, Guguletu und Nyanga einfinden und mit Musik empfangen werden. Für sie war die politische Kundgebung auch ein Volksfest.
Scheepers und Borstlap stellten sich ans Rednerpult und schauten sich um.
»Eine Frage ist entscheidend«, sagte Borstlap, »haben wir es mit einem Selbstmordkandidaten zu tun oder mit einer Person, die entkommen will?«
»Wir sollten von letzterem ausgehen. Ein Attentäter, der bereit ist, sich selbst zu opfern, ist durch seine Unberechenbarkeit gefährlich. Auch ist das Risiko sehr groß, daß er sein Ziel verfehlt. Wir haben es ganz sicher mit einem Mann zu tun, der damit rechnet, nach der Ermordung Mandelas entkommen zu können.«
»Woher weißt du, daß er eine Schußwaffe verwendet?«
Scheepers sah ihn an, verwundert und irritiert zugleich. »Was sonst? Man würde ihn doch ergreifen und lynchen, sollte er ein Messer gebrauchen, denn dann müßte er ja in die unmittelbare Nähe seines Opfers vordringen.«
Borstlap nickte düster. »Dann hat er viele Möglichkeiten, wenn du dich umschaust. Er kann das Dach nehmen oder eine leerstehende Rundfunkkabine. Vielleicht postiert er sich auch außerhalb des Stadions.«
|534| Borstlap zeigte auf Signal Hill, der sich in der Entfernung von etwa einem halben Kilometer jäh erhob. »Er hat viele Möglichkeiten«, wiederholte er. »Zu viele.«
»Trotzdem müssen wir ihn stoppen.«
Beide sahen ein, was das bedeutete. Sie waren gezwungen, sich zu entscheiden, alle Chancen abzuwägen. Sie konnten nicht jede in Frage kommende Stelle untersuchen. Scheepers schätzte, daß sie ein Zehntel schaffen konnten, Borstlap schätzte etwas mehr.
»Uns bleiben noch zwei Stunden und fünfunddreißig Minuten«, sagte Scheepers. »Dann fängt Mandela an zu reden, wenn er pünktlich ist. Ich nehme an, daß ein Attentäter nicht unnötig warten wird.«
Scheepers hatte zehn erfahrene Polizisten zu seiner Verfügung angefordert. Sie wurden von einem jungen Polizeihauptmann befehligt.
»Unsere Aufgabe ist sehr einfach«, sagte Scheepers. »Wir haben zwei Stunden Zeit, dieses Stadion zu durchsuchen. Wir fahnden nach einem bewaffneten Mann. Er ist schwarz und gefährlich. Er muß unschädlich gemacht werden. Wir wollen ihn am liebsten lebend. Wenn es nicht zu vermeiden ist, muß er getötet werden.«
»War das alles?« fragte der junge Polizeihauptmann erschrocken, als Scheepers geendet hatte. »Gibt es keine Personenbeschreibung?«
»Wir haben keine Zeit zum Diskutieren«, fiel ihm Borstlap ins Wort. »Greift euch einfach alle, die sich verdächtig benehmen. Oder sich an Stellen aufhalten, wo sie nicht sein sollten. Entscheiden, ob es die richtige oder falsche Person war, können wir hinterher.«
»Es muß doch irgendeine Personenbeschreibung geben«, versuchte es der Hauptmann unter dem beifälligen Gemurmel seiner zehn Untergebenen noch einmal.
»Muß es überhaupt nicht«, sagte Scheepers und merkte, daß er wütend wurde. »Wir teilen das Stadion in Sektoren ein und fangen sofort an.«
Sie durchsuchten Geräteschuppen und Abstellräume, krochen |535| auf Überdachungen und Tribünen herum. Scheepers verließ das Stadion, überquerte Western Boulevard und High Level und begann dann, den Hang hinaufzuklettern. Nach ungefähr zweihundert Metern blieb er stehen. Er sagte sich, daß die Entfernung allzu groß war. Für einen Attentäter käme eine Position außerhalb des Stadions wohl doch nicht in Frage.
Durchgeschwitzt und kurzatmig machte er sich auf den Rückweg.
Sikosi Tsiki, der ihn von seinem schützenden Gebüsch aus bemerkt hatte,
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