Wallander 03 - Die weisse Löwin
festzunehmen, die sich verschiedener Verbrechen schuldig gemacht haben. Manchmal gelingt es mir, oft nicht. Aber wenn mit mir eines Tages Schluß ist, werde ich in der größten Suche von allen erfolglos geblieben sein. Das Leben bleibt ein eigentümliches Rätsel.
Ich will meine Tochter treffen, dachte er. Ich vermisse sie manchmal so sehr, daß es weh tut. Ich muß einen schwarzen Mann ohne Finger festnehmen, vor allem, wenn er Louise Åkerblom getötet hat. Ich habe eine Frage an ihn, auf die ich eine Antwort haben muß: Warum hast du sie getötet?
Ich muß Stig Gustafson folgen, darf ihn nicht vorzeitig aus dem Blickfeld verlieren, obwohl ich schon jetzt davon überzeugt bin, daß er unschuldig ist.
Er ging zum Auto zurück.
Die Angst und die Verdrossenheit wollten nicht verschwinden. Der Finger zeigte immer noch auf ihn.
|131| Der Mann aus der Transkei
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Der im Schatten des Autowracks hockende Mann war kaum zu sehen. Er bewegte sich nicht, und sein schwarzes Gesicht war vor dem Hintergrund der dunklen Lackierung nicht zu erkennen.
Der Platz, wo er abgeholt werden sollte, war gut gewählt. Er wartete seit dem frühen Nachmittag, und jetzt verschwand die Sonne langsam hinter der staubigen Silhouette des Vorstadtghettos Soweto. Die rote trockene Erde glühte in der untergehenden Sonne. Es war der 8. April 1992.
Er war weit gereist, um rechtzeitig am Treffpunkt zu sein. Der weiße Mann, der bei ihm gewesen war, hatte gesagt, daß er pünktlich sein müsse. Aus Sicherheitsgründen wollte man ihm den exakten Zeitpunkt, wann man ihn abholen würde, nicht nennen. Kurz nach Sonnenuntergang, das war alles, was er wissen durfte. Es waren erst sechsundzwanzig Stunden vergangen, seit der weiße Mann, der sich Stewart genannt hatte, vor seiner Hütte in Ntibane aufgetaucht war. Als er das Klopfen an der Tür gehört hatte, war ihm zuerst der Gedanke gekommen, daß die Polizei in Umtata etwas von ihm wollte. Es verging selten ein Monat, in dem sie ihn nicht aufsuchten. Sobald es einen Bankraub oder Mord gab, stand einer der Kriminalbeamten vor seiner Tür. Manchmal nahmen sie ihn zum Verhör mit in die Stadt. Aber meistens akzeptierten sie sein Alibi, wenn dieses in der letzten Zeit auch meist nur darin bestand, daß er besoffen in irgendeiner Bar der Gegend versackt war.
Als er aus seiner Wellblechhütte getreten war, hatte er den Mann, der im scharfen Sonnenlicht stand und behauptete, Stewart zu heißen, nicht erkannt.
Victor Mabasha hatte sofort gemerkt, daß der Mann log. Er konnte sonstwie heißen, aber nicht Stewart. Obwohl er sich des Englischen bedient hatte, war Victor nicht entgangen, daß |132| der Mann burischer Herkunft war. Und Buren hießen nicht Stewart.
Es war ein Nachmittag gewesen. Victor Mabasha hatte geschlafen, als es an die Tür klopfte. Er war ohne Eile aufgestanden, hatte sich die Hose übergezogen und die Tür geöffnet. Er hatte sich langsam daran gewöhnt, daß keiner mehr mit wichtigen Angelegenheiten zu ihm kam. Oft tauchten Leute auf, denen er Geld schuldete. Oder jemand, der so dumm war zu denken, daß er von ihm etwas leihen konnte. Oder es war eben die Polizei. Aber die klopfte nicht an. Die trommelte gegen die Tür. Wenn sie sie nicht gleich aufbrach.
Der Mann, der Stewart genannt werden wollte, war in den Fünfzigern. Er trug einen schlechtsitzenden Anzug und war verschwitzt. Unter einem Affenbrotbaum auf der anderen Straßenseite hatte er seinen Wagen geparkt. Victor waren die Nummernschilder aufgefallen, sie stammten aus Transvaal. Sogleich hatte er sich gewundert, daß jemand so weit, bis in die Transkeiprovinz, gefahren sein sollte, um mit ihm zu reden.
Der Mann hatte nicht darum gebeten, einzutreten. Er hatte nur die Hand ausgestreckt und ein Kuvert hingehalten und gesagt, daß jemand ihn, Victor Mabasha, am nächsten Tag in einer wichtigen Angelegenheit in der Nähe von Soweto treffen wolle.
»Alles, was du wissen mußt, steht in dem Brief hier«, hatte er gesagt.
Einige halbnackte Kinder spielten genau vor der Hütte mit einer verbeulten Radkappe. Victor rief ihnen zu, sie sollten verschwinden. Sofort waren sie weg.
»Wer?« hatte Victor gefragt.
Er mißtraute allen weißen Männern. Am meisten mißtraute er weißen Männern, die ungeschickt logen und dann noch glaubten, er würde sich mit einem Kuvert zufriedengeben.
»Das kann ich nicht sagen«, antwortete Stewart.
»Immer wieder will mich jemand treffen«, sagte Victor. »Die Frage ist nur, ob ich ihn treffen
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