Wallander 03 - Die weisse Löwin
es hundert Kilometer.«
Er nahm auf dem Rücksitz Platz. Der Mann hinter dem Lenkrad schwieg. Bald sah er die Lichter der Großstadt, als sie Johannesburg auf der nördlichen Autobahn passierten.
Jedesmal, wenn er sich in der Nähe von Johannesburg befand, merkte er, wie der wahnsinnige Haß, den er immer für die Stadt gehegt hatte, von neuem aufbrandete. Es war, als verfolge ihn ein wildes Tier und erinnere ihn an alles, was er lieber vergessen wollte.
Victor Mabasha war in Johannesburg aufgewachsen. Sein Vater war Grubenarbeiter gewesen und hatte sich selten zu Hause sehen lassen. Viele Jahre lang hatte er in den Diamantengruben von Kimberley gearbeitet, später in Verwoerdburg, nordöstlich von Johannesburg. Als er zweiundvierzig war, waren seine Lungen am Ende. Victor Mabasha konnte sich immer noch daran erinnern, wie sein Vater in den letzten Lebensjahren verzweifelt nach Luft geschnappt hatte, wie die Angst aus seinen Augen leuchtete. Während all dieser Jahre hatte seine Mutter versucht, das Heim und die neun Kinder zusammenzuhalten. Sie hatten in einer Slumgegend gewohnt, und Victor erinnerte sich an seine Jugend als an eine lange und scheinbar endlose Erniedrigung. Früh hatte er gegen all das revoltiert, aber sein Protest war mißverständlich und verwirrt gewesen. Er war in einem Kreis junger Diebe gelandet, er war zu schnell gefahren und in der Gefängniszelle von weißen Polizisten zusammengeschlagen worden. Seine Bitterkeit war dadurch nur noch verstärkt worden, und er hatte sich erneut der Straße und den Verbrechen zugewandt. Im Unterschied |138| zu seinen Kameraden war er seinen eigenen Weg gegangen, als es galt, die Erniedrigung zu überleben. Anstatt sich der Emanzipationsbewegung der Schwarzen anzuschließen, die langsam wuchs, hatte er sich entschieden, in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Obwohl es die Unterdrückung der Weißen war, die sein Leben zerstörte, dachte er, sich mit den Weißen gutzustellen, wäre die einzige Möglichkeit davonzukommen. Er fing an, im Auftrag weißer Hehler Diebstähle auszuführen. Dafür stand er unter ihrem Schutz. Als er dann, gerade zwanzig Jahre alt, die Anweisung erhielt, für eintausendzweihundert Rand einen schwarzen Politiker umzubringen, der einen weißen Geschäftsinhaber beleidigt hatte, gab es für ihn kein Zögern. Es sollte der endgültige Beweis dafür sein, daß er auf seiten der Weißen stand. Und seine Rache würde immer darin bestehen, daß sie nicht begriffen, wie tief er sie verachtete. Sie glaubten, er sei ein einfältiger Kaffer, der wußte, wie ein Schwarzer in Südafrika aufzutreten hatte. Aber in seinem Innersten haßte er die Weißen. Deshalb diente er ihnen.
Manchmal las er in der Zeitung, daß einer seiner früheren Kameraden gehenkt oder zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Er trauerte um seine Gefährten, aber die Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein, zu überleben und vielleicht schließlich eine Existenz außerhalb der Slumgebiete aufbauen zu können, verließ ihn nie.
Als er zweiundzwanzig war, hatte er Jan Kleyn erstmals getroffen. Obwohl sie gleichaltrig waren, behandelte ihn Kleyn mit überlegener Verachtung.
Jan Kleyn war Fanatiker. Victor Mabasha wußte, daß er die Schwarzen haßte und meinte, sie wären wie Tiere, die ständig von den Weißen gezüchtigt werden müßten. Jan Kleyn hatte sich beizeiten dem faschistischen Burischen Widerstand angeschlossen und in wenigen Jahren eine führende Position erreicht. Aber er war kein Politiker, er arbeitete im verborgenen, aus dem südafrikanischen Nachrichtendienst heraus. Sein besonderer Vorzug war seine Rücksichtslosigkeit. Für ihn bestand kein Unterschied darin, einen Schwarzen niederzuschießen oder eine Ratte zu töten.
|139| Victor Mabasha haßte und bewunderte Jan Kleyn gleichermaßen. Die unerschütterliche Überzeugung, daß die Buren ein auserwähltes Volk seien, und die bis zur Todesverachtung gesteigerte Rücksichtslosigkeit imponierten ihm. Es war, als ob Jan Kleyn ständig alle seine Gedanken und Gefühle kontrollieren konnte. Vergeblich hatte Victor versucht, bei Jan Kleyn einen schwachen Punkt zu finden. Es gab keinen.
Zweimal hatte er bereits Morde im Auftrag von Jan Kleyn verübt. Er war umsichtig vorgegangen. Jan Kleyn war zufrieden gewesen. Aber obwohl sie sich in dieser Zeit regelmäßig trafen, hatte ihm Jan Kleyn noch nie die Hand gegeben.
Die Lichter von Johannesburg blieben langsam hinter ihnen zurück.
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