Wallander 03 - Die weisse Löwin
Leben lang war seine Umwelt rassistisch geprägt gewesen. Er hatte auf seine Weise gelernt, damit umzugehen. Weshalb reagierte er da auf Konovalenko? War es, weil er nicht von einem weißen Mann als unterlegen angesehen werden wollte, der nicht aus Südafrika stammte? Er entschied, daß dies die richtige Antwort sein mußte.
Die Reise von Johannesburg nach London und dann weiter nach St. Petersburg war problemlos verlaufen. Während des Nachtfluges nach London hatte er wach gesessen und in die Dunkelheit hinausgestarrt. Dann und wann hatte er sich eingebildet, weit unter sich Flammen zu sehen. Aber er hatte begriffen, daß das Phantasien waren. Es war nicht das erste Mal, daß er Südafrika verließ. Einmal hatte er einen Repräsentanten des ANC in Lusaka liquidiert, ein andermal an einem Attentat im damaligen Südrhodesien teilgenommen, das gegen den Revolutionsführer Joshua Nkomo gerichtet war. Das war das einzige Mal gewesen, wo er versagt hatte. Damals hatte er sich geschworen, in Zukunft nur noch auf eigene Faust zu handeln.
Yebo, yebo.
Niemals mehr würde er sich unterordnen. Sobald er aus diesem verfrorenen skandinavischen Land nach Südafrika zurückkehren konnte, würde Anatoli Konovalenko nur noch ein |162| unbedeutendes Detail in dem bösen Traum sein, mit dem ihn
songoma
vergiftet hatte. Konovalenko war eine undeutliche Rauchsäule, die aus seinem Körper entweichen würde. Der heilige Geist, der sich im Jaulen der singenden Hunde verbarg, würde ihn davonjagen. Seine vergiftete Erinnerung würde sich niemals wieder mit dem arroganten Russen befassen müssen, der so graue, abgenutzte Zähne hatte.
Konovalenko war klein und untersetzt. Er reichte Victor kaum bis zu den Schultern. Aber sein Kopf war in Ordnung, das war Victor sofort klargeworden. Natürlich war das nicht verwunderlich. Jan Kleyn würde sich nie mit einem anderen als dem Besten zufriedengeben, der auf dem Markt zu finden war.
Dagegen hätte sich Victor niemals eine Vorstellung von der Brutalität dieses Mannes machen können. Er hatte eingesehen, daß ein ehemaliger hoher KG B-Offizier , mit dem Spezialgebiet Liquidation von eingeschleusten Agenten des Gegners und Überläufern aus den eigenen Reihen, kaum irgendwelche Gewissensbisse haben konnte, wenn es darum ging, zu töten. Aber für Victor war unnötige Grausamkeit ein Kennzeichen von Amateuren. Eine Liquidation sollte
mningi checha
, schnell und ohne unnötige Leiden des Opfers, vonstatten gehen.
Sie hatten St. Petersburg am Tag nach der Ankunft Victors wieder verlassen. Auf der Fähre nach Schweden hatte er so gefroren, daß er die ganze Zeit in seiner Kabine geblieben war, in Decken gehüllt. Rechtzeitig vor der Ankunft in Stockholm hatte ihm Konovalenko seinen neuen Paß und Instruktionen übergeben. Zu seiner großen Verwunderung hatte er entdeckt, daß er nun Shalid hieß und schwedischer Staatsbürger war.
»Vorher warst du ein staatenloser Flüchtling aus Eritrea«, hatte Konovalenko erklärt. »Nach Schweden bist du bereits Ende der sechziger Jahre gekommen, die Staatsbürgerschaft wurde dir 1978 bewilligt.«
»Müßte ich nach mehr als zwanzig Jahren nicht wenigstens ein paar Worte Schwedisch sprechen?«
»Es reicht, wenn du
tack
sagen kannst, das heißt ›danke‹«, antwortete Konovalenko. »Keiner wird dir Fragen stellen.« Konovalenko hatte recht behalten.
|163| Zu Victors großem Erstaunen hatte eine junge Beamtin lediglich einen flüchtigen Blick in seinen Paß geworfen und ihn dann zurückgegeben. Konnte es wirklich so einfach sein, in ein Land ein- und wieder auszureisen? Er begann zu verstehen, daß es trotz allem vielleicht ein Motiv gab, die Vorbereitungsphase seines Auftrags in ein Land zu verlegen, das so weit von Südafrika entfernt war.
Auch wenn er dem Mann, der sein Instrukteur sein würde, mißtraute und ihn sogar verabscheute, konnte er nicht umhin, die unsichtbare Organisation zu bewundern, die alles um ihn herum zu kontrollieren schien. Im Hafen von Stockholm hatte ein Auto sie erwartet. Die Schlüssel fanden sie auf dem linken Hinterrad. Weil Konovalenko unsicher war, was die Ausfahrt von Stockholm anging, hatte sie ein anderer Wagen durch den Verkehr zur Autobahn in Richtung Süden gelotst und war dann verschwunden. Victor hatte gedacht, daß die Welt von geheimen Organisationen und Menschen wie seinem
songoma
gesteuert wurde. Geformt und verändert wurde sie im Untergrund. Menschen wie Jan Kleyn waren nur Boten. Victor war sich nicht sicher,
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