Wallander 03 - Die weisse Löwin
an welcher Stelle dieser unsichtbaren Organisation er sich selbst befand. Er wußte nicht einmal, ob er das überhaupt wissen wollte.
Sie fuhren durch das Land, das Schweden hieß. Dann und wann schimmerten Schneeflecken durch die Nadelbäume. Konovalenko fuhr nicht besonders schnell und sprach dabei kaum. Das war Victor sehr recht, denn er war müde nach der langen Reise. Ab und zu schlief er auf dem Rücksitz ein, und sofort sprach sein Geist zu ihm. Der singende Hund heulte im Dunkel des Traums, und als er die Augen aufschlug, wußte er nicht, wo er war. Es regnete ununterbrochen. Victor fiel auf, wie sauber und ordentlich alles zu sein schien. Als sie anhielten, um zu essen, hatte er das Gefühl, daß nichts in diesem Land kaputtgehen konnte.
Aber etwas fehlte. Victor versuchte herauszufinden, was es war, aber ohne Erfolg. Er merkte, daß die Landschaft ihn schwermütig machte.
Die Autofahrt dauerte den ganzen Tag.
|164| »Wohin geht es denn?« fragte Victor, als sie bereits über drei Stunden unterwegs waren. Es dauerte einige Minuten, bis Konovalenko antwortete.
»Nach Süden. Du wirst schon sehen, wenn wir da sind.«
Da war
songomas
böser Traum noch fern. Die Frau hatte noch nicht auf dem Hof gestanden, ihre Stirn war noch nicht durch den Schuß aus Konovalenkos Pistole zerschmettert worden. Victor Mabasha dachte noch an nichts anderes, als das zu tun, wofür ihn Jan Kleyn bezahlte. Zu dem Auftrag gehörte, auf das zu hören, was Konovalenko ihm sagen würde, ihm vielleicht sogar beibringen konnte. Die Geister, dachte sich Victor, sowohl die guten als auch die bösen, waren in Südafrika geblieben, in den Berghöhlen vor Ntibane. Die Geister verließen niemals das Land, sie überschritten keine Grenzen.
Kurz vor acht Uhr abends erreichten sie das abgelegene Gehöft. Schon in St. Petersburg hatte Victor erstaunt bemerkt, daß die Abenddämmerung und die Nacht nicht wie in Afrika waren. Es war hell, wenn es eigentlich dunkel sein mußte, und die Dämmerung fiel nicht wie die schwere Faust der Nacht auf die Erde nieder, sondern wie ein Blatt, das langsam zu Boden gleitet.
Sie trugen einige Taschen ins Haus und richteten sich ihre Schlafräume her. Victor merkte, daß gut vorgeheizt war. Auch das muß man der Perfektion der geheimen Organisation zuschreiben, dachte er. Ein schwarzer Mann in diesem Polarreich muß ja frieren. Und wem kalt ist, wer Hunger hat oder Durst, der kann nichts leisten, kann nichts lernen.
Die Decke des Zimmers war niedrig. Victor konnte unter den freiliegenden Balken gerade noch stehen. Er lief im Hause umher und spürte den fremden Geruch von Möbeln, Teppichen und Reinigungsmitteln. Was er am meisten vermißte, war der Duft eines offenen Feuers.
Afrika war weit weg. Vielleicht war das auch beabsichtigt. Hier sollte ein Plan ausprobiert, verbessert, perfektioniert werden. Nichts durfte stören, nichts an das erinnern, was danach wartete.
Konovalenko holte Fertiggerichte aus einer Tiefkühltruhe. |165| Victor beschloß, später nachzusehen, wie viele Portionen sich darin befanden, um auszurechnen, wie lange sie in diesem Haus bleiben würden.
Aus seinem eigenen Gepäck zog Konovalenko eine Flasche russischen Wodka. Er bot Victor davon an, als sie sich zum Essen an den Tisch setzten, doch der lehnte ab. Victor trank vorsichtig, wenn er eine Arbeit vorbereitete, ein, vielleicht zwei Bier pro Tag. Konovalenko aber schluckte eine ganze Menge und war schon an diesem ersten Abend betrunken. Victor sah sich dadurch im Vorteil. In einer kritischen Situation würde er Konovalenkos offensichtliche Schwäche für Schnaps ausnutzen können.
Der Wodka machte Konovalenko gesprächig. Er begann, vom verlorenen Paradies zu erzählen, vom KGB in den sechziger und siebziger Jahren, als sie die sowjetische Gesellschaft uneingeschränkt beherrschten und kein Politiker sicher sein konnte, daß der KGB nicht seine geheimsten Geheimnisse kannte und registrierte. Victor dachte, daß der KGB vielleicht
songoma
ersetzt hatte in diesem russischen Reich, wo niemand an die heiligen Geister glauben durfte, außer in größter Heimlichkeit. Eine Gesellschaft, die versucht, die Götter in die Flucht zu schlagen, ist dem Untergang geweiht, dachte er. Das weiß
nkosis
in meinem Heimatland, und deshalb sind unsere Götter nicht von der Apartheid betroffen. Sie dürfen frei leben, unterlagen niemals den Paßgesetzen, konnten sich stets ohne Erniedrigung bewegen. Wären unsere Geister auf abgelegene
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