Wallander 03 - Die weisse Löwin
der Verschwörung standen, meinten es ernst.
|223| Eine Schafherde im Nebel
15
Am Montag, dem 4. Mai, war Kurt Wallander bereit, die Verantwortung für die Ermittlungen im Mordfall Louise Åkerblom einem seiner Kollegen zu übergeben. Das hatte jedoch nichts damit zu tun, daß er sich als Polizist schuldig fühlte, weil er keine Ergebnisse aufzuweisen hatte. Es ging um etwas anderes. Um ein Gefühl, das stärker und stärker geworden war. Er hatte ganz einfach den Eindruck, daß er es nicht mehr schaffte.
Am Samstag und Sonntag waren sie mit den Befragungen keinen Schritt weitergekommen. Die Leute waren verreist und nicht anzutreffen. Auch von der Zentrale für Kriminaltechnik waren bis auf weiteres keine Informationen zu bekommen. Es gab nur einen sehr bestimmten Ausnahmefall. Die Jagd auf einen unbekannten Mann, der in Stockholm einen jungen Polizisten getötet hatte, wurde mit unverminderter Intensität fortgesetzt.
Um den Fall Louise Åkerblom war es still geworden. Björk war Freitag nacht von einer plötzlichen und schweren Gallenkolik attackiert worden und lag seitdem im Krankenhaus. Wallander besuchte ihn am frühen Samstag morgen, um sich Anweisungen zu holen.
Nach dem Besuch im Krankenhaus setzten sich Wallander, Martinsson und Svedberg im Versammlungsraum des Polizeigebäudes zusammen. »Heute und morgen hat Schweden geschlossen«, sagte Wallander. »Irgendwelche Resultate der verschiedenen technischen Untersuchungen, auf die wir warten, erhalten wir nicht vor Montag. Deshalb können wir die nächsten zwei Tage dazu nutzen, das Material durchzugehen, das wir bereits haben. Außerdem glaube ich, daß es klug wäre, wenn du, Martinsson, dich mal wieder daheim bei deiner Familie sehen ließest. Ich vermute, die nächste Woche wird ziemlich anstrengend. Aber jetzt wollen wir uns noch eine Weile konzentrieren. |224| Ich möchte, daß wir diesen Fall noch einmal durchgehen, von Anfang an. Ich will auch, daß ihr auf eine Frage antwortet, jeder für sich.«
Er machte eine kleine Pause, bevor er fortfuhr. »Ich weiß, daß das hier nicht richtig polizeimäßig ist. Aber ich habe von Anfang an bei dieser Ermittlung das Gefühl, daß irgend etwas seltsam ist. Ich kann es nicht deutlicher ausdrücken. Ich will nun wissen, ob einer von euch auch dieses Gefühl hat. Als ob wir vor einem Verbrechen stünden, das keinem der Muster folgt, mit denen wir es für gewöhnlich zu tun haben.«
Wallander hatte Verwunderung erwartet, vielleicht Mißtrauen. Aber Martinsson und Svedberg teilten sein Gefühl.
»Ich habe so etwas noch nie erlebt«, sagte Martinsson. »Ich verfüge natürlich nicht über so lange Erfahrungen wie du, Kurt. Aber ich muß zugeben, daß ich mich vor diesem Durcheinander hilflos fühle. Erst versuchen wir, einen Täter zu fassen, der für einen abscheulichen Frauenmord verantwortlich ist. Je tiefer wir graben, desto unbegreiflicher wird, warum sie getötet wurde. Schließlich sitzen wir wieder da, mit dem Gefühl, daß ihr Tod ein Geschehnis am Rande von etwas ganz anderem ist, etwas Größerem. Ich habe die ganze letzte Woche über schlecht geschlafen. Und das passiert mir sonst nie.«
Wallander nickte und sah zu Svedberg.
»Was soll ich sagen«, begann er und kratzte sich die Glatze. »Martinsson hat es ja schon gesagt, besser als ich es kann. Gestern abend, als ich nach Hause kam, habe ich eine Liste aufgestellt: tote Frau, Brunnen, schwarzer Finger, gesprengtes Haus, Funkanlage, Pistole, Südafrika. Dann saß ich da und glotzte über eine Stunde auf diese Liste, als sei sie ein Bilderrätsel. Es ist, als ob wir nicht einsehen, daß Verbindung und Zusammenhang nichts miteinander zu tun haben in dieser Ermittlung. Ich glaube, ich habe noch nie das Gefühl gehabt, in einem so undurchdringlichen Dunkel herumzustolpern wie jetzt.«
»Das war es, was ich wissen wollte«, sagte Wallander. »Ich glaube nämlich nicht, daß es unwichtig ist, daß wir bei diesem Fall hier das gleiche Gefühl haben. Laßt uns trotz allem sehen, |225| ob wir nicht ein wenig Licht in das Dunkel bringen können, von dem Svedberg sprach.«
Sie gingen die Ermittlung von Anfang an durch, es dauerte fast drei Stunden. Danach waren sie sich einig, daß sie trotz allem bisher keine größeren Fehler in der Arbeit gemacht hatten. Aber irgendwelche neuen Spuren konnten sie auch nicht entdecken.
»Das Ganze ist, vorsichtig ausgedrückt, sehr unklar«, faßte Wallander zusammen. »Die einzige richtige Spur, die wir haben, ist
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