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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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ausschließlich Männer über Sechzig befiel. Er hatte sich die Frage gestellt, ob er bereits ausgebrannt war, so dramatisch vorzeitig gealtert. Für den Nachrichtendienst zu arbeiten war natürlich mit Strapazen verbunden, das wußte er seit langem. Daß er außerdem der spezielle und geheime Verbindungsmann zum Präsidenten war, erhöhte den Druck, mit dem er ständig leben mußte. Aber er hielt sich physisch gut in Form. Er rauchte nicht und trank sehr selten Alkohol.
    Was ihn beunruhigte und sicher auch indirekt zu seiner Erkrankung beigetragen hatte, war die zunehmende Ohnmacht über die Zustände im Land.
    Pieter van Heerden war Bure. Er war in Kimberley aufgewachsen, von Kindheit an von den Traditionen der Buren umgeben. |217| Alle Verwandten waren Buren gewesen, ebenso seine Klassenkameraden und Lehrer. Sein Vater hatte für de Beer gearbeitet, das burische Unternehmen, das die Diamantenproduktion Südafrikas und der ganzen Welt beherrschte. Seine Mutter hatte, ihrem Manne untertan, die traditionelle Rolle der Burenfrau gespielt und sich ganz der Aufgabe gewidmet, die Kinder großzuziehen und ihnen eine grundlegende religiöse Vorstellung von der Ordnung der Dinge zu vermitteln. Sie hatte all ihre Zeit und Kraft für Pieter und seine vier Geschwister geopfert. Bis er zwanzig war und gerade zwei Jahre an der Stellenboschuniversität von Kapstadt, hatte er das Leben, das er lebte, nie in Frage gestellt. Daß es ihm überhaupt gelungen war, seinen Vater zu überreden, daß er auf diese erwiesenermaßen radikale Universität gehen durfte, war sein erster großer Triumph in bezug auf Selbständigkeit im Leben. Da er bei sich selbst keine besonderen Talente entdeckt hatte und auch keine aufsehenerregenden Zukunftsträume hegte, schwebte ihm eine Karriere als Beamter vor. In die Fußstapfen seines Vaters zu treten und sein Leben dem Bergbau und der Diamantenproduktion zu widmen, lockte ihn nicht. Er studierte Jura und merkte, daß es das Richtige für ihn war, auch wenn er sich in keiner Weise auszeichnete.
    Die Veränderung kam, als er von einem Kommilitonen dazu überredet wurde, ein Wohngebiet der Schwarzen einige Meilen außerhalb von Kapstadt zu besuchen. Wie um zu beweisen, daß sich die Zeiten trotz allem geändert hatten, unternahmen einige Studenten aus Neugier Besuche in schwarzen Stadtteilen. Der Radikalismus der liberalen Studenten an der Stellenboschuniversität hatte sich bis dahin nur verbal geäußert. Nun kam es zu einer Veränderung, und die war dramatisch. Zum erstenmal zwangen sie sich, mit eigenen Augen zu sehen.
    Für van Heerden war es ein schockartiges Erlebnis.
    Er hatte sehen müssen, unter welchen elenden und demütigenden Bedingungen die Schwarzen lebten. Der Kontrast zwischen den parkähnlichen Villengegenden der Weißen und den schwarzen Slums war so kraß, daß er einfach nicht verstehen konnte, wie so etwas in ein und demselben Land möglich sein konnte. Der Besuch in der schwarzen Vorstadt hatte in ihm eine |218| tiefgehende gefühlsmäßige Verwirrung ausgelöst. Er war nachdenklich geworden und hatte sich von seinen Kameraden zurückgezogen. Viel später dachte er, daß es gewesen war, als habe er eine geschickt gefertigte Fälschung aufgedeckt. Aber es handelte sich nicht um ein Gemälde an der Wand mit einer falschen Signatur. Es ging um das ganze Leben, das er bis dahin geführt hatte und das jetzt eine Lüge war. Sogar seine Erinnerungen erschienen ihm verzerrt und unwahr. Als Kleinkind hatte ihn eine schwarze
nanny
betreut. Es gehörte zu seinen frühesten und bleibenden Kindheitserinnerungen, daß er von ihren starken Armen emporgehoben und an die Brust gedrückt worden war. Nun dachte er, daß sie ihn gehaßt haben mußte. Das bedeutete, daß nicht nur die Weißen in einer Lügenwelt lebten. Auch für die Schwarzen galt, daß sie um des Überlebens willen gezwungen wurden, ihren Haß auf das grenzenlose Unrecht zu verbergen, dem sie ständig ausgesetzt waren. Und außerdem noch in einem Land, das ihnen einmal gehört hatte, ihnen aber gestohlen worden war. Das ganze Fundament, auf dem er gestanden zu haben glaubte, mit von Gott, der Natur und der Tradition gegebenem Recht, hatte sich als ein Morast erwiesen. Sein nie in Frage gestelltes Weltbild basierte auf einem schandbaren Unrecht. Das hatte er in dem schwarzen Stadtteil Langa entdeckt, der so weit vom rein weißen Kapstadt entfernt war, wie es die Konstrukteure des Rassenunterschieds für angemessen hielten.
    Das

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