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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Erlebnis hatte ihn tiefer berührt als die meisten seiner Kameraden. Als er versuchte zu diskutieren, merkte er, daß das, was bei ihm zu einem bösartigen traumatischen Erlebnis geworden war, bei seinen Freunden eher sentimentale Regungen hervorgerufen hatte. Während er meinte, eine apokalyptische Katastrophe kommen zu sehen, sprachen seine Kameraden davon, Kleidersammlungen zu organisieren.
    Er legte das Examen ab, ohne sein Erlebnis verarbeitet zu haben. Als er bei einer Gelegenheit während eines Studienaufenthaltes Kimberley besuchte, bekam sein Vater einen Wutausbruch wegen des Berichts des Sohnes über den Besuch in dem schwarzen Stadtteil. Er merkte, daß seine Gedanken wie er selbst waren, vollkommen heimatlos.
    |219| Nach seinem Examen erhielt er ein Angebot, im Justizministerium in Pretoria zu arbeiten. Er akzeptierte sofort. Nach etwa einem Jahr hatte sich seine Tauglichkeit erwiesen, und eines Tages wurde er gefragt, ob er sich vorstellen könne, zum Nachrichtendienst zu wechseln. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich bereits daran gewöhnt, mit seinem Trauma zu leben, da er keine Möglichkeit sah, es loszuwerden. Sein Gespaltensein war zum Synonym für seine Persönlichkeit geworden. Er konnte die Rolle des rechtgläubigen und überzeugten Buren spielen, der sprach und tat, was von ihm erwartet wurde. Aber in ihm wuchs das Gefühl einer nahenden Katastrophe. Eines Tages würde die Illusion zerplatzen, und die Schwarzen würden schonungslose Rache fordern. Er hatte niemanden, mit dem er reden konnte, und er lebte ein einsames, immer isolierteres Leben.
    Er merkte sehr bald, daß die Arbeit im Nachrichtendienst viele Vorteile bot. Nicht zuletzt erhielt er einen Einblick in die politischen Prozesse, von denen die Allgemeinheit nur vage oder unvollständig Kenntnis hatte.
    Als Frederik de Klerk Präsident wurde und öffentlich erklärte, daß Nelson Mandela freigelassen werde und der ANC nicht länger verboten wäre, dachte er, daß es vielleicht doch noch eine Möglichkeit gab, die Katastrophe zu vermeiden. Die Schande über das, was früher war, würde nie vergehen. Aber vielleicht hatte Südafrika trotz allem eine Zukunft?
    Pieter van Heerden vergötterte Präsident de Klerk von Anfang an. Er konnte die verstehen, die ihn als einen Verräter ansahen. Aber er teilte ihre Ansicht nicht. Für ihn war de Klerk ein Messias. Als er außerdem noch auserwählt wurde, der Kontaktmann zum Präsidenten zu sein, war er voller Stolz. Zwischen ihm und de Klerk war sehr bald ein Vertrauensverhältnis entstanden. Zum erstenmal in seinem Leben hatte van Heerden das Gefühl, etwas von Bedeutung zu tun. Dadurch, daß er dem Präsidenten Informationen gab, die manchmal nicht für seine Ohren bestimmt waren, trug van Heerden dazu bei, die Kräfte zu stärken, die ein anderes Südafrika schaffen wollten, ein Land ohne Rassenunterdrückung.
    Daran dachte er, als er in seinem Bett in der Brenthurst Clinic |220| lag. Erst wenn Südafrika umgestaltet, wenn Nelson Mandela der erste schwarze Präsident war, würde die Unruhe, die er ständig mit sich herumtrug, vorübergehen.
    Die Tür ging auf, und eine schwarze Krankenschwester kam herein. Sie hieß Marta. »Doktor Plitt hat gerade angerufen. Er kommt in ungefähr einer halben Stunde her, um eine Rückenmarkprobe zu entnehmen.«
    Van Heerden sah sie verwundert an. »Rückenmarkprobe? Jetzt?«
    »Ich finde es auch seltsam. Aber er war sehr bestimmt. Ich soll Ihnen sagen, Sie möchten sich schon jetzt auf die linke Seite legen. Es ist vielleicht am besten zu gehorchen. Die Operation ist ja bereits morgen früh. Doktor Plitt weiß sicher, was er tut.«
    Van Heerden nickte. Er hatte volles Vertrauen in den jungen Arzt. Aber er konnte sich nicht helfen, der Zeitpunkt schien ihm für die Entnahme einer Rückenmarkprobe doch recht seltsam gewählt.
    Marta half ihm, sich zurechtzulegen.
    »Doktor Plitt sagte, Sie müßten ganz still liegen. Sie dürfen sich nicht bewegen.«
    »Ich bin ein folgsamer Patient. Ich tue, was die Ärzte befehlen. Ich mache ja auch, was du sagst, oder?«
    »Stimmt, mit Ihnen habe ich keine Probleme. Wir sehen uns morgen, wenn Sie nach der Operation erwacht sind. Für heute abend mache ich Schluß.«
    Sie verließ das Zimmer, und van Heerden dachte, daß sie nun eine Busreise von mehr als einer Stunde vor sich hatte. Er wußte nicht, wo sie wohnte, nahm aber an, in Soweto.
    Er war fast eingeschlafen, als er hörte, wie die Tür geöffnet wurde. Es war dunkel im

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