Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
noch raus. Ist sehr wichtig.«
»Ich kümmere mich persönlich darum«, versprach sie. »Du siehst übrigens müde aus. Schläfst du schlecht?«
»So kann man es nennen.«
»Wer dankt es dir, wenn du dich kaputtschuftest? Ich jedenfalls nicht.«
Wallander antwortete nicht, er ging in sein Büro zurück.
Ein Monat, dachte er. Ein Monat, um das Lächeln zu besiegen.
Er wählte die Nummer von Sten Widén.
Zugleich beschloß er, wieder ein paar Opernkassetten zu kaufen. Er vermißte seine Musik.
|265| 13
Gegen Mittag an diesem Montag verließ Wallander in dem Polizeiauto, das bis auf weiteres seinen ausgebrannten Wagen ersetzen mußte, Ystad in Richtung Westen. Sein Ziel war das Gestüt in der Nähe der Burgruine Stjärnsund, das von Sten Widén betrieben wurde. Als er die Anhöhe vor der Stadt erreicht hatte, bog er auf einen Parkplatz ein, stellte den Motor ab und schaute übers Meer. Weit draußen am Horizont ahnte er die Konturen eines Schiffes auf der Fahrt zur Ostsee.
Plötzlich überfiel ihn ein Schwindelgefühl, das einige Sekunden anhielt. Zuerst befürchtete er, daß es das Herz wäre, dann merkte er, daß ihm sein ganzes Dasein zu entgleiten drohte. Er schloß die Augen, legte den Kopf zurück und versuchte, sämtliche Gedanken abzuschalten. Nach einer Minute schlug er die Augen wieder auf. Das Meer lag immer noch vor ihm; das Schiff hatte sich ein Stück weiter nach Osten bewegt. Ich bin müde, dachte er, obwohl ich mich am Wochenende ausgeruht habe. Das Gefühl der Erschöpfung hat tiefere Ursachen, die ich nur zum Teil ergründen kann. Offenbar kann ich nichts dagegen tun, jedenfalls jetzt nicht mehr, denn ich bin wieder im Dienst. Den Strand von Jütland habe ich freiwillig aufgegeben.
Wie lange er sitzen blieb, wußte er nicht. Als er zu frieren begann, startete er und fuhr weiter. Am liebsten wäre er nach Hause gefahren, um sich in seiner Wohnung zu verkriechen. Aber er zwang sich, in Richtung Stjärnsund abzubiegen. Nach etwa einem Kilometer wurde die Straße schlechter. Wie immer, wenn er zu Sten Widén unterwegs war, fragte er sich, wie die großen Pferdetransporter mit den Schlaglöchern klarkamen.
Endlich lag der Talkessel mit dem großen Hof und den ausgedehnten Stallungen vor ihm. Er fuhr hinunter und hielt an. In einem Baum schimpfte ein Schwarm Krähen.
|266| Er stieg aus und ging zu dem roten Ziegelgebäude, in dem Widén sein kombiniertes Wohnbüro hatte. Die Tür war nur angelehnt, und Wallander hörte, daß Widén telefonierte. Er klopfte und trat ein. Wie immer herrschte eine heillose Unordnung, und es roch nach Pferd. In dem ungemachten Bett schliefen zwei Katzen.
Wallander fragte sich, wie es Widén aushielt, jahrelang so zu leben.
Der Mann, der ihm freundlich zunickte, ohne das Gespräch zu unterbrechen, war mager, hatte zotteliges Haar und ein blühendes Ekzem am Mund. Er sah noch so aus wie vor fünfzehn Jahren, als sie einige Zeit zusammen verbracht hatten. Damals war es Sten Widéns Traum gewesen, Opernsänger zu werden. Er hatte einen klaren Tenor, und sie stellten sich eine gemeinsame Zukunft vor, in der Wallander sein Impresario wäre. Aber die Träume waren geplatzt; Wallander war Polizist geblieben, und Sten Widén hatte den Job seines Vaters als Trainer für Galopp-Rennpferde übernommen. Sie hatten sich aus den Augen verloren, keiner wußte eigentlich, warum, und hatten sich erst Anfang der 90er Jahre im Zusammenhang mit einem komplizierten Mordfall wiedergetroffen.
Er war einmal mein bester Freund, dachte Wallander. Nach ihm hatte ich keinen mehr. Vielleicht wird er so für alle Zeiten mein bester Freund bleiben.
Widén beendete das Gespräch und warf das schnurlose Telefon auf den Tisch. »So ein verdammter Idiot!« fluchte er.
»Ein Pferdebesitzer?« fragte Wallander.
»Ein Schurke! Vor einem Monat habe ich ihm ein Pferd abgekauft. Er hat einen Hof oben bei Höör. Jetzt wollte ich es abholen, aber plötzlich hat er es sich anders überlegt. So ein verdammter Kerl!«
»Wenn du das Tier bereits bezahlt hast, kann er nicht viel tun«, sagte Wallander.
»Ich habe nur etwas angezahlt. Aber ich fahre trotzdem hin und hole das Pferd, und wenn er sich auf den Kopf stellt.«
Schnell verschwand er in der Küche. Als er wiederkam, stieg Wallander ein schwacher Alkoholgeruch in die Nase.
|267| »Du tauchst immer völlig unerwartet auf«, sagte Sten Widén. »Willst du Kaffee?«
Wallander nickte. Sie gingen in die Küche hinüber. Sten Widén schob Stapel alter
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