Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
jemand anwesend war, als Gustaf Torstensson verunglückte. Es muß aber nicht bedeuten, daß er getötet wurde. Es könnte jemand gewesen sein, der den Unfall entdeckt hat und sehen wollte, ob es aus dem Kofferraum etwas zu stehlen gab. Daß die betreffende Person uns danach nicht informiert beziehungsweise ein altes Stuhlbein weggeworfen hat, ist nicht weiter verwunderlich. Leichenfledderer geben sich selten zu erkennen.«
»Das ist natürlich richtig«, sagte Wallander.
»Und doch hast du behauptet, du könntest beweisen, daß er ermordet wurde.«
»Das war übereilt«, antwortete Wallander. »Ich hätte sagen sollen, daß das hier die Situation teilweise verändert.«
Sie gingen zur Straße zurück.
»Wir müssen den Opel noch einmal untersuchen«, sagte Martinsson. »Die Kriminaltechniker werden sich wundern, wenn wir ihnen einen kaputten Holzstuhl schicken.«
Björk ließ erkennen, daß er die Versammlung auf der Straße beenden wollte. Es hatte wieder angefangen zu regnen; der Wind war kräftiger geworden. »Morgen entscheiden wir, wie wir vorgehen. Wir müssen die verschiedenen Spuren prüfen; leider sind es ja nicht so viele. Ich glaube nicht, daß wir hier und jetzt weiterkommen.«
Sie gingen zu ihren Wagen. Ann-Britt Höglund blieb an Wallanders Seite. »Kann ich mit dir fahren?« fragte sie. »Ich wohne direkt in Ystad. Martinsson hat überall Kindersitze, und Björks Auto ist voller Angelgerät.«
Wallander nickte. Sie fuhren als letzte ab. Für Wallander war es ein ungewohntes Gefühl, jemanden so nahe bei sich zu haben. |64| Ihm fiel ein, daß er seit jenem Sommertag vor fast zwei Jahren, als sein Schweigen begann, eigentlich mit niemandem außer mit seiner Tochter richtig gesprochen hatte.
Schließlich begann sie zu reden. »Ich glaube, du hast recht. Natürlich muß es einen Zusammenhang zwischen dem Tod des Vaters und dem des Sohnes geben.«
»Das muß auf jeden Fall untersucht werden.«
Zur Linken sahen sie das Meer. Die Wellen brachen sich; Gischt spritzte auf.
»Warum wird man Polizist?« fragte Wallander.
»Warum andere es werden, weiß ich nicht. Ich weiß nur, warum ich es geworden bin. Ich erinnere mich aber, daß auf der Polizeischule fast jeder einen anderen Traum hatte.«
»Haben denn Polizisten Träume?« fragte Wallander.
Sie sah ihn an. »Alle Menschen haben Träume. Auch Polizisten. Hast du keine?«
Wallander wußte nicht, was er antworten sollte. Aber ihre Gegenfrage war natürlich richtig. Wo sind meine Träume, dachte er. Wenn man jung ist, hat man Träume, die entweder verblassen oder sich in einen Willen verwandeln, dem man dann folgt. Was ist mir eigentlich geblieben von all dem, was ich einmal wollte?
»Ich wurde Polizistin, weil ich mich entschieden habe, nicht Priesterin zu werden«, sagte sie plötzlich. »Ich habe lange an Gott geglaubt. Meine Eltern gehören der Pfingstbewegung an. Aber eines Tages war alles einfach fort, eines Morgens, als ich aufwachte. Lange wußte ich überhaupt nicht, was ich tun sollte. Dann geschah jedoch etwas, und ich entschloß mich fast sofort, Polizistin zu werden.«
Er warf ihr einen Blick zu. »Erzähl bitte. Ich wüßte gern, warum Menschen immer noch zur Polizei wollen.«
»Ein andermal«, sagte sie ausweichend. »Nicht jetzt.«
Sie näherten sich Ystad. Sie erklärte ihm, wo sie wohnte, an der westlichen Einfahrt, in einer der neugebauten hellen Ziegelvillen mit Aussicht auf das Meer.
»Ich weiß nicht einmal, ob du Familie hast«, sagte Wallander, als sie in den halbfertigen Weg einbogen.
|65| »Ich habe zwei Kinder. Mein Mann ist Installateur. In der ganzen Welt baut er Pumpen und wartet sie; er ist fast nie bei uns. Aber er hat das Haus zusammengespart.«
»Klingt nach einem spannenden Beruf.«
»Ich werde dich mal an einem Abend einladen, wenn er hier ist«, sagte sie. »Dann kann er dir selbst erzählen, wie es ist.«
Er hielt vor ihrer Tür.
»Ich glaube, alle sind froh, daß du wieder da bist«, sagte sie zum Abschied.
Wallander hatte das Gefühl, daß diese Bemerkung nicht der Wahrheit entsprach, sondern eher ein Versuch war, ihn aufzumuntern, aber er nickte und murmelte einen Dank.
Dann fuhr er auf dem kürzesten Weg in die Mariagata, hängte die feuchte Jacke über den Stuhl und legte sich aufs Bett. Nicht einmal die schmutzigen Schuhe zog er aus. Er schlief ein und träumte, er läge bei Skagen in den Dünen.
Als er eine Stunde später aufwachte, wußte er zuerst nicht, wo er war. Dann zog er die
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