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Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Titel: Wallander 04 - Der Mann, der lächelte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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kam Sonja Lundin heraus und brachte ihm die Schlüssel.
    Zweimal verfuhr er sich, bis er die Adresse gefunden hatte. Die braungestrichene große Holzvilla lag tief in einem Garten versteckt. Er parkte in der Einfahrt und lief den knirschenden Kiesweg entlang. Es war völlig still, und die Stadt schien weit entfernt zu sein. Eine Welt für sich, dachte er, während er sich umschaute. Torstenssons Kanzlei muß einiges abgeworfen haben. Teurere Häuser als dieses dürfte es in Ystad kaum geben. Der Garten war gut gepflegt, wirkte aber seltsam leblos. Hier und da Laubbäume, gestutzte Hecken, phantasielos angelegte Rabatten. Vielleicht schätzte es ein älterer Anwalt, von geraden Linien umgeben zu sein, eingeordnet in ein konventionelles Gartenmuster ohne Überraschungen. Wallander erinnerte sich, einmal gehört zu haben, Anwalt Gustaf Torstensson habe das Hohelied der Langeweile in das schwedische Prozeßwesen eingebracht. |75| Böse Zungen behaupteten auch, der Sieg in einem Verfahren sei an Torstensson gegangen, weil der Staatsanwalt aus Verzweiflung über die schleppende, temperamentlose Verteidigung kapituliert habe. Wallander nahm sich vor, Per Åkeson über seine Erfahrungen mit Gustaf Torstensson zu befragen. Sie mußten im Laufe der Jahre mehrfach miteinander zu tun gehabt haben.
    Er stieg die Treppe zum Eingang hinauf, suchte den richtigen Schlüssel und schloß auf. Es war eine komplizierte Mehrfachverriegelung, wie er sie noch nie gesehen hatte. Er kam in eine große Halle, von der eine breite Treppe in die obere Etage führte. Die schweren Gardinen waren zugezogen. Als er eine zur Seite raffte, sah er, daß die Fenster vergittert waren. Ein einsamer älterer Mann mit seinen altersbedingten Ängsten, sagte er sich. Oder gab es hier noch etwas, was er schützen wollte? Hatte er Grund, sich vor etwas da draußen zu fürchten? Wallander erkundete das große Haus, zuerst das Erdgeschoß mit der Bibliothek, den Ahnenporträts, dem großen kombinierten Wohn- und Eßraum. Von der Tapete bis zum kleinsten Möbelstück war alles in dunklen Farben gehalten, was ein Gefühl von Schwermut und Schweigen vermittelte. Kein einziger fröhlicher Gegenstand, der Leichtigkeit verbreiten und zu einem Lächeln herausfordern könnte.
    Er stieg die Treppe zum Obergeschoß hinauf. Gästezimmer mit akkurat gemachten Betten, verlassen wie in einem Strandhotel im Winter. Verwundert registrierte er, daß die Tür zu Gustaf Torstenssons Schlafraum von innen vergittert war. Er ging wieder hinunter; in diesem Haus fühlte er sich unbehaglich. Als er am Küchentisch saß und das Kinn auf die Handfläche stützte, war außer dem Ticken der Wanduhr kein Geräusch zu hören.
    Gustaf Torstensson war 69   Jahre alt, als er starb. Die letzten fünfzehn Jahre nach dem Tod seiner Frau hatte er allein gelebt. Sten Torstensson war das einzige Kind gewesen. Der Kopie eines Ölgemäldes nach zu urteilen, die in der Bibliothek hing, hatte die Familie gemeinsame Wurzeln mit dem Heerführer Lennart Torstensson, der es im Dreißigjährigen Krieg zu zweifelhaftem Ruhm gebracht hatte. Wallander erinnerte sich |76| schwach an den Geschichtsunterricht in der Schule; der Mann war gegen die Landbevölkerung in den von seiner Armee besetzten Gebieten mit beispielloser Brutalität vorgegangen.
    Wallander erhob sich und stieg die Kellertreppe hinab. Auch hier herrschte pedantische Ordnung. In der letzten Ecke, hinter dem Kesselraum, entdeckte Wallander eine verschlossene Stahltür. Er probierte die Schlüssel am Bund, bis er den richtigen hatte. Finsternis empfing ihn, offenbar gab es kein Fenster. Wallander tastete die Wand ab, bis er einen Lichtschalter fand.
    Der Raum war überraschend groß. An den Wänden standen Reihen von Regalen, in denen sich osteuropäische Ikonen befanden. Ohne etwas anzufassen, drehte Wallander eine Runde und sah sich alles aus der Nähe an. Er war kein Kenner, aber er schätzte die Sammlung als sehr wertvoll ein. Das würde die Außengitter und das Schloß an der Haustür erklären, nicht jedoch die übertrieben gesicherte Schlafzimmertür. Das unbehagliche Gefühl verstärkte sich. Es kam ihm vor, als sei er in das innerste Geheimnis eines reichen alten Mannes eingedrungen – dem Leben entzogen und in ein Haus gesperrt, bewacht von der Gier, die sich in einer Unzahl von Madonnengesichtern manifestiert hatte.
    Plötzlich zuckte er zusammen. Aus dem Obergeschoß waren Schritte zu hören, dann bellte ein Hund. Hastig verließ er den

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