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Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Titel: Wallander 04 - Der Mann, der lächelte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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uns wie immer jeden Tag um vier Uhr ab. Im übrigen erwarte ich Unterstützung bei der heutigen Pressekonferenz.«
    »Ich nicht«, sagte Wallander erschrocken. »Das schaffe ich nicht.«
    »Ich hatte auch eher an Ann-Britt gedacht«, sagte Björk.
    »Es schadet nichts, wenn die Leute wissen, daß sie zu uns gehört.«
    »Das tu ich doch gern«, meinte sie zur Verwunderung der anderen. »Da kann ich noch etwas lernen.«
    Als alle auseinandergingen, bat Wallander Martinsson, noch zu bleiben. Als sie allein waren, schloß er die Tür. »Wir müssen mal miteinander reden. Ich werde das Gefühl nicht los, hier einfach hereingeplatzt zu sein und das Kommando übernommen zu haben. Dabei wollte ich doch eigentlich nur mein Abschiedsgesuch unterschreiben.«
    »Wir wundern uns natürlich«, antwortete Martinsson. »Das mußt du verstehen. Auch wir sind unsicher.«
    »Ich habe Angst, jemandem auf die Zehen zu treten.«
    Martinsson brach in Lachen aus. Dann schneuzte er sich. »Das schwedische Polizeikorps teilt sich in zwei Gruppen. Der einen tun die Zehen weh, die andere ist chronisch überfordert. Je mehr Polizisten zu Beamten werden, desto stärker plagt sie der Karrierenerv. Gleichzeitig beinhaltet die täglich zunehmende Bürokratisierung, daß Mißverständnisse und Unklarheiten entstehen. Daher die chronisch Überforderten. Manchmal |73| kann ich Björks Befürchtungen verstehen. Wohin soll das noch führen, was wird aus der einfachen und grundlegenden Polizeiarbeit?«
    »Das Polizeikorps ist immer Spiegel seiner Umgebung gewesen«, sagte Wallander. »Aber ich verstehe, was du meinst. Schon Rydberg hat das gemerkt. Was hältst du von Ann-Britt Höglund?«
    »Sie ist tüchtig. Hansson und Svedberg haben Angst vor ihr, weil sie so clever ist. Zumindest Hansson fürchtet, ins Hintertreffen zu geraten. Deshalb verbringt er ja inzwischen die meiste Zeit in verschiedenen Weiterbildungskursen.«
    »Sie verkörpert den Polizistentyp der neuen Zeit«, sagte Wallander und stand auf.
    An der Tür blieb er stehen. »Du hast gestern etwas gesagt, was bei mir hängengeblieben ist. Etwas über Sten Torstensson. Ich hatte das Gefühl, daß es wichtiger war, als es klang.«
    »Ich habe von meinem Notizblock abgelesen«, antwortete Martinsson. »Ich kann dir eine Kopie geben.«
    »Das Risiko ist groß, daß ich mir Sachen einbilde«, sagte Wallander.
    Als er in seinem Büro war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, spürte er, daß er wieder über etwas verfügte, was er lange entbehrt hatte: einen Willen. Offenbar war in der zurückliegenden Zeit nicht alles verlorengegangen.
    Er saß am Schreibtisch und versuchte, sich aus der Distanz selbst zu beobachten, den schwankenden Mann auf den Westindischen Inseln, den hoffnungslosen Reisenden in Thailand, den Kerl, der viele Tage und Nächte lang bloß irgendwie funktionierte. Er sah sich selbst und merkte, daß er diesen Menschen jetzt verlassen hatte. Er konnte ihn vergessen.
    Er schauderte bei der Vorstellung, welche katastrophalen Folgen seine Handlungen hätten haben können. Er dachte lange an seine Tochter Linda. Erst als Martinsson klopfte und ihm eine Kopie seiner Aufzeichnungen vom Vortag hereinreichte, verscheuchte er die Bilder. Er war überzeugt, daß jeder Mensch in sich einen kleinen Raum hat, in dem die Erinnerungen gesammelt liegen. Jetzt schob er einen Riegel vor und ließ |74| ein kräftiges Vorhängeschloß zuschnappen. Dann ging er zur Toilette und spülte die Tabletten gegen Depressionen hinunter, die in einem Röhrchen in der Jacke gesteckt hatten.
    Als er wieder im Büro war, begann er unverzüglich zu arbeiten. Es war inzwischen zehn Uhr. Er las sich Martinssons Notizen gründlich durch, ohne sagen zu können, was daran seine Aufmerksamkeit erregt hatte.
    Es ist noch zu früh, dachte er. Rydberg hätte mich zur Geduld gemahnt. Jetzt muß ich erst einmal meinen eigenen Verstand bemühen.
    Er überlegte einen Moment, wo er beginnen sollte. Dann suchte er Gustaf Torstenssons Privatadresse aus den Unterlagen heraus.
    Timmermansgatan 12.
    Die Straße lag in einem der ältesten und vornehmsten Villenviertel der Stadt. Er rief in der Anwaltskanzlei an und sprach mit Sonja Lundin. Sie sagte ihm, daß die Schlüssel zur Villa im Büro aufbewahrt würden. Wallander verließ das Polizeigebäude. Die schweren Regenwolken hatten sich aufgelöst, die Luft war klar, und er spürte den ersten kühlen Hauch des kommenden Winters. Als er den Wagen vor dem gelben Steinhaus stoppte,

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