Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
sie, ohne sich umzudrehen, nach rechts in die Hamngata einbog.
Er war sicher, sie nie zuvor gesehen zu haben.
Das mußte aber nicht bedeuten, daß sie ihn nicht wiedererkannt hatte. In seinen Jahren als Polizist hatte er in verschiedenen Zusammenhängen oft Flüchtlinge und Asylsuchende getroffen.
Er fuhr zum Polizeigebäude zurück. Der Wind war immer noch böig. Von Osten näherte sich ein Wolkenband. Er war gerade in den Kristianstadväg eingebogen, als er plötzlich scharf bremste. Hinter ihm ertönte das wütende Hupen eines Lastwagens.
Ich reagiere zu langsam, dachte er. Ich sehe nicht einmal, was ganz eindeutig ist.
Nach einem gewagten Wendemanöver fuhr er die Strecke zurück, die er gekommen war. Er parkte den Wagen vor der Post in der Hamngata und eilte dann in die Querstraße, die von Norden zur Stickgata führte. Er stellte sich so, daß er das rosa Haus beobachten konnte, in dem Frau Dunér wohnte.
Es war kalt, und er ging langsam auf und ab, behielt aber den Eingang immer im Auge.
|82| Nach einer Stunde erwog er aufzugeben. Aber er war sicher, daß sein Verdacht begründet war. So setzte er die Beobachtung fort, während Per Åkeson vergebens auf ihn wartete.
Genau sieben Minuten vor halb vier wurde die Tür des rosa Hauses geöffnet. Wallander glitt schnell hinter einen Mauervorsprung.
Er hatte recht gehabt. Die Asiatin verließ Berta Dunérs Wohnung und verschwand um die Ecke.
Inzwischen hatte es angefangen zu regnen.
|83| 5
Das Treffen der Ermittlungsgruppe begann Punkt vier Uhr und dauerte sieben Minuten. Wallander kam als letzter und sank auf seinen Stuhl. Er war verschwitzt und außer Atem. Die Kollegen am Tisch sahen ihn verwundert an, aber niemand machte eine Bemerkung.
Nach ein paar Minuten war Björk klar, daß keiner etwas Entscheidendes zu berichten oder zur Diskussion zu stellen hatte. Das war ein Stadium der Ermittlung, in dem sich Polizisten, ihrer eigenen Terminologie nach, in
Tunnelgräber
verwandelt hatten. Jeder versuchte, den Durchbruch zu schaffen und das Verborgene zu erreichen. Es war eine regelmäßig wiederkehrende Situation während einer Morduntersuchung. Der einzige, der schließlich etwas zu fragen hatte, war Wallander.
»Wer ist Alfred Harderberg?« wollte er wissen, nachdem er einen Blick auf seinen Notizzettel geworfen hatte.
»Ich dachte, das wüßte jeder«, antwortete Björk. »Harderberg ist derzeit einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner des Landes. Er wohnt hier in Schonen. Wenn er nicht gerade in seinem Privatjet in der Weltgeschichte herumfliegt.«
»Ihm gehört Schloß Farnholm«, fügte Svedberg hinzu. »Er soll ein Aquarium haben, dessen Boden mit Goldsand bedeckt ist.«
»Er war Gustaf Torstenssons Klient«, sagte Wallander. »Sein wichtigster Klient. Und sein letzter. Torstensson hatte Harderberg an jenem Abend besucht, an dem er draußen auf dem Acker starb.«
»Er organisiert private Sammlungen für die Notleidenden in den Kriegsgebieten auf dem Balkan«, sagte Martinsson. »Aber das ist vielleicht nicht so schwer, wenn man Geld wie Heu hat.«
|84| »Alfred Harderberg ist ein Mann, der Respekt verdient«, sagte Björk.
Wallander war leicht irritiert. »Meinetwegen. Aber ich werde ihn trotzdem besuchen.«
»Ruf vorher an«, sagte Björk und erhob sich.
Das war die ganze Besprechung. Wallander holte Kaffee und ging in sein Büro. Er wollte in Ruhe darüber nachdenken, was der Besuch einer jungen Asiatin bei Frau Dunér bedeuten konnte. Möglicherweise gar nichts. Aber Wallanders Instinkt sagte etwas anderes. Er legte die Füße auf den Schreibtisch und lehnte sich zurück. Die Kaffeetasse balancierte er auf dem Knie.
Das Telefon klingelte. Als Wallander nach dem Hörer griff, rutschte ihm die Tasse aus der Hand, der Kaffee floß über seine Hose.
»Verdammt«, fluchte er.
»Du brauchst gar nicht unverschämt zu werden«, sagte sein Vater, der am anderen Ende der Leitung war. »Ich wollte nur wissen, warum du nie anrufst.«
Sofort bekam Wallander ein schlechtes Gewissen. Er fragte sich, ob es jemals ein offenes und spannungsfreies Gespräch zwischen ihm und seinem Vater geben würde. »Mir ist die Kaffeetasse runtergefallen«, versuchte er zu erklären. »Ich habe mir die Hose versaut.«
Der Vater schien nicht zugehört zu haben. »Wieso bist du in deinem Büro? Du bist doch krank geschrieben?«
»Nicht mehr. Ich arbeite wieder.«
»Seit wann?«
»Seit gestern.«
»Gestern?«
Wallander merkte, daß sich das Gespräch ewig
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