Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
setzte er sich auf das Sofa und schnippelte und feilte an seinen Nägeln. Ab und zu schaute er sich im Zimmer um, als erwarte er, trotz allem nicht allein zu sein. Kurz nach zehn ging er zu Bett und schlief sofort ein. Der Regen hatte allmählich nachgelassen und war zu einem leichten Nieseln geworden.
Als Wallander am Mittwochmorgen erwachte, war es noch dunkel. Die Leuchtzeiger des Weckers standen auf fünf Uhr. Er drehte sich auf die Seite, um noch einmal einzuschlafen, blieb aber wach. Er war unruhig. Die lange Zeit draußen in der Kälte machte sich immer noch bemerkbar. Nichts wird jemals wieder so wie früher, dachte er. Was auch immer geschehen mag, ich werde in Zukunft mit zwei Zeitrechnungen leben müssen, mit einem Davor und einem Danach. Kurt Wallander existiert und existiert wiederum auch nicht.
Um halb sechs stand er auf, trank Kaffee, wartete auf die Zeitung und las am Thermometer ab, daß draußen vier Grad plus herrschten. Getrieben von einer Unruhe, die er weder beschreiben noch unterdrücken konnte, verließ er bereits um sechs die Wohnung. Er setzte sich ins Auto und startete. Im selben Augenblick fiel ihm ein, daß er ja bereits jetzt nach Norden fahren könnte, um einen Besuch auf Schloß Farnholm zu machen. Unterwegs würde er irgendwo eine Tasse Kaffee trinken und sich telefonisch anmelden. Er nahm die westliche Ausfahrt. Als er das militärische Übungsgelände passierte, wo er vor knapp zwei Jahren den letzten Kampf des alten Wallander bestanden hatte, vermied er es, nach rechts zu schauen. Da draußen im Nebel hatte er einsehen müssen, daß es Menschen |90| gab, die vor keiner Form der Gewalt zurückschreckten, die nicht zögerten, Hinrichtungen vorzunehmen, wenn es ihren Zielen diente.
Da draußen hatte er, im Lehm kniend, verzweifelt sein Leben verteidigt und durch einen gezielten Schuß einen Menschen getötet. Das war ein Punkt, von dem es kein Zurück gab – Begräbnis und Geburt auf einmal.
Er fuhr den Kristianstadväg entlang und bremste ab, als er an der Stelle vorbeikam, wo Gustaf Torstensson gestorben war. Als er das große Einkaufszentrum erreicht hatte, parkte er vor dem Café und ging hinein. Es war windig geworden. Er hätte eine wärmere Jacke anziehen, er hätte überhaupt darüber nachdenken sollen, wie er sich kleidete, wenn er einen Schloßherrn besuchte. Abgetragene Cordhosen und eine etwas schmuddelige Jacke waren vielleicht nicht ganz angemessen. Ihm schoß die Frage durch den Kopf, wie Björk sich wohl herausgeputzt hätte, wäre er auf dem Weg in ein Schloß, und sei es in dienstlicher Mission.
Er war allein im Lokal und bestellte Kaffee und ein Käsebrötchen. Es war Viertel vor sieben. Zerstreut blätterte er in einer alten Illustrierten, die er von einer Ablage genommen hatte. Nach einigen Minuten wurde er müde und versuchte, einige Fragen zu formulieren, die er Alfred Harderberg beziehungsweise demjenigen stellen wollte, der von Gustaf Torstenssons letztem Klientenbesuch berichten konnte. Er wartete, bis es halb acht war. Dann lieh er sich das Telefon von der Kasse und rief zuerst im Polizeigebäude von Ystad an. Von den Kollegen war nur der Frühaufsteher Martinsson erreichbar. Wallander erklärte, wo er sich befand und daß er mit einem mehrstündigen Besuch rechnete.
»Weißt du, was mein erster Gedanke war, als ich heute morgen aufgewacht bin?« fragte Martinsson.
»Nein?«
»Daß Sten Torstensson seinen Vater ermordet hat.«
»Wie erklärst du dann, was mit ihm selbst geschehen ist?« fragte Wallander verwundert.
»Gar nicht«, sagte Martinsson. »Mir wird aber immer klarer, |91| daß die Lösung in ihrem Beruf liegen muß, nicht im Privatleben.«
»Oder in einer Kombination von beidem«, sagte Wallander nachdenklich.
»Was meinst du?«
»Ich habe heute nacht so etwas geträumt«, sagte Wallander ausweichend. »Bis später dann.«
Er legte auf, griff aber gleich wieder zum Hörer, um die Nummer von Schloß Farnholm zu wählen. Schon beim ersten Rufzeichen wurde abgenommen.
»Schloß Farnholm«, sagte eine Frauenstimme.
»Hier ist Kommissar Wallander von der Polizei Ystad«, stellte er sich vor. »Ich würde gern mit Alfred Harderberg sprechen.«
»Er befindet sich in Genf«, sagte die Frau in gebrochenem Schwedisch.
Wallander ärgerte sich über seine Naivität. Auf die Idee, der international agierende Geschäftsmann könnte auf Reisen sein, hätte er natürlich kommen müssen.
»Wann wird er zurück sein?«
»Das hat er nicht
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