Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
hinziehen würde, wenn es ihm nicht gelang, es schnellstens abzubrechen.
»Ich weiß, daß ich dir eine Erklärung schuldig bin. Aber jetzt geht es nicht. Ich komme morgen abend zu dir raus. Dann erzähle ich dir, was passiert ist.«
»Ich habe dich so lange nicht gesehen«, murmelte der Vater und legte auf.
Wallander blieb einen Augenblick mit dem Hörer in der |85| Hand sitzen. Sein Vater, der im nächsten Jahr fünfundsiebzig wurde, rief in ihm stets widersprüchliche Gefühle hervor. Soweit er sich erinnern konnte, war ihr Verhältnis immer kompliziert gewesen. Das hatte sich nicht zuletzt an jenem Tag gezeigt, an dem er seinem Vater mitteilte, er wolle Polizist werden. In den fünfundzwanzig Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte der Vater keine Möglichkeit ausgelassen, diesen Entschluß zu kritisieren. Wallander seinerseits konnte nie das schlechte Gewissen loswerden, sich nicht so um den alternden Mann zu kümmern, wie er es tun sollte. Im Jahr zuvor, als er zu seinem Erstaunen erfahren hatte, daß der Vater eine dreißig Jahre jüngere Frau heiraten wollte, die bisher dreimal in der Woche als Haushaltshilfe kam, war er überzeugt, daß nun für ausreichend Gesellschaft gesorgt wäre. Jetzt, als er mit dem Hörer in der Hand dasaß, wurde ihm klar, daß sich im Grunde nichts geändert hatte.
Er legte auf, hob die Kaffeetasse vom Boden und tupfte das Hosenbein mit einem Stück Papier aus seinem Schreibblock ab. Dann fiel ihm ein, daß er sich mit Staatsanwalt Per Åkeson in Verbindung setzen mußte. Die Sekretärin stellte das Gespräch sofort durch. Wallander erklärte, er sei aufgehalten worden, und Per Åkeson schlug einen Termin am kommenden Vormittag vor.
Anschließend holte sich Wallander eine frische Tasse Kaffee. Im Flur stieß er mit Ann-Britt Höglund zusammen, die einen Stapel Aktenordner schleppte.
»Wie geht es voran?« fragte Wallander.
»Langsam«, erwiderte sie. »Ich werde das Gefühl nicht los, daß mit diesen beiden toten Anwälten etwas nicht stimmt.«
»Genau das meine ich auch. Warum glaubst du das?«
»Ich weiß nicht.«
»Laß uns morgen darüber reden. Nach meinen Erfahrungen sollte man das, was man nicht in Worte fassen kann, nie unterschätzen.«
In seinem Büro legte er den Telefonhörer neben den Apparat und nahm sich den Schreibblock vor. In Gedanken kehrte er an den kalten Strand von Skagen zurück, und Sten Torstensson |86| kam ihm aus dem Nebel entgegen. Für mich hat diese Ermittlung bereits damals begonnen, dachte er. Als Sten Torstensson noch lebte.
Langsam ging er durch, was er bisher über die beiden toten Anwälte wußte. Er war wie der Soldat auf einem vorsichtigen Rückzug, die Aufmerksamkeit auf das Gebüsch am Weg gerichtet. Es dauerte über eine Stunde, bis er die zur Verfügung stehenden Fakten überblickte.
Was ist das, was ich wahrnehme, ohne es wirklich zu sehen, dachte er immer wieder. Als er den Stift zur Seite legte, konnte er jedoch nur grimmig konstatieren, daß er außer einem zierlich geformten Fragezeichen nichts zustande gebracht hatte.
Zwei tote Anwälte. Der eine stirbt bei einem seltsamen Autounfall, der aller Wahrscheinlichkeit nach arrangiert war. Der Mörder Gustaf Torstenssons war ein kaltblütiger Täter, der sein Verbrechen vertuschen wollte; das Stuhlbein im Lehm war ein merkwürdiger Fehler. Hier gibt es also ein Warum und ein Wer, entschied er. Aber vielleicht auch noch mehr.
Plötzlich erkannte er, daß er vor einem Stein stand, den er unmittelbar ins Rollen bringen konnte. In seinen Notizen suchte er nach Frau Dunérs Telefonnummer. Sie antwortete sofort.
»Tut mir leid, daß ich störe«, sagte er. »Hier ist Kommissar Wallander. Ich habe eine Frage, die ich gern gleich beantwortet hätte.«
»Natürlich, wenn ich Ihnen helfen kann.«
Eigentlich habe ich ja zwei Fragen, schoß es Wallander durch den Kopf. Aber die nach der Asiatin hebe ich mir noch auf.
»An dem Abend, an dem Gustaf Torstensson starb, hatte er Schloß Farnholm besucht«, begann er. »Wer wußte davon, daß er seinen Klienten an genau diesem Abend aufsuchen würde?«
Sie überlegte eine Weile, bevor sie antwortete. Wallander war sich nicht sicher, ob es so lange dauerte, weil sie sich erst erinnern mußte oder weil sie nach einer angemessenen Formulierung suchte.
»Ich wußte es natürlich«, sagte sie. »Es ist möglich, daß ich |87| es Fräulein Lundin gegenüber erwähnt habe. Aber sonst wußte es niemand.«
»Sten Torstensson hatte keine
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