Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
anderem Vorzeichen macht ein Anwalt also dasselbe wie ein Revisor. So sollte es jedenfalls sein.«
»Du hast von der vorletzten Vermutung gesprochen. Es gibt also noch eine letzte?«
»Ja. Lars Borman schreibt zwei Drohbriefe. Er kann noch weitere geschrieben haben, wir wissen es nicht. Was wir dagegen wissen, ist, daß die Briefe in der Kanzlei lediglich in einen Umschlag gestopft wurden.«
»Aber jetzt sind die Anwälte tot. Und jemand hat heute früh versucht, Frau Dunér umzubringen.«
»Und Lars Borman begeht Selbstmord. Ich glaube, da müssen wir ansetzen. Bei seinem Selbstmord. Wir brauchen Kontakt zu den Kollegen in Malmö. Irgendwo steht auf einem Schriftstück, daß eine Fremdeinwirkung ausgeschlossen ist. Ein ärztliches Gutachten muß es außerdem geben.«
»Und die Witwe lebt in Spanien.«
»Aber die Kinder wohnen sicher noch in Schweden. Auch mit denen müssen wir sprechen.«
Sie erhoben sich und verließen den Kundenraum.
»So etwas sollten wir öfter machen«, sagte Wallander. »Es macht Spaß, mit dir zu reden.«
»Obwohl ich nichts verstehe und erbärmliche Zusammenfassungen mache?«
Wallander zuckte die Schultern. »Ich bin zu leicht gereizt.«
Sie setzten sich wieder ins Auto. Es war fast ein Uhr. Wallander dachte mit Widerwillen an die leere Wohnung, die ihn in Ystad erwartete. Es war, als hätte etwas in seinem Leben vor sehr langer Zeit geendet, lange bevor er auf einem Schießplatz bei Ystad im Nebel gekniet hatte. Aber er hatte es nicht bemerkt. Ihm kam das Bild in den Sinn, das sein Vater gemalt und das er in der Villa in der Gjutargatan gesehen hatte. Bisher waren ihm die Gemälde seines Vaters als etwas beinahe Peinliches erschienen, als Anbiederei auf dem Jahrmarkt des schlechten Geschmacks. Jetzt fragte er sich plötzlich, ob man es nicht ganz |144| anders sehen konnte – daß sein Vater Bilder malte, die den Menschen das Gefühl von Ausgeglichenheit und Sicherheit gaben. Danach suchten sie doch überall, und sie fanden es in seinen ewiggleichen Landschaften. Er erinnerte sich an den Gedanken, er selbst wäre ein Jahrmarktspolizist. Vielleicht war seine Selbstverachtung ganz unnötig.
»Woran denkst du?« Ann-Britt Höglund unterbrach seine Grübelei.
»Ich weiß nicht«, antwortete er ausweichend. »Ich bin wohl nur müde.«
Wallander fuhr über Malmö. Auch wenn es ein kleiner Umweg war, zog er es doch vor, bis Ystad auf den Hauptstraßen zu bleiben. Es war weit und breit kein Verfolger zu entdecken.
»Ich dachte nicht, daß so etwas bei uns möglich ist«, sagte sie. »Daß man von Unbekannten in einem Auto verfolgt wird.«
»Bis vor ein paar Jahren gab es so etwas auch nicht. Dann kam die Veränderung. Man sagt, daß Schweden langsam und schleichend das Gesicht wechselte. Aber ich meine doch, daß alles ablesbar war. Wenn man es nur sehen wollte.«
»Erzähl mir davon. Wie es vorher war. Und was passiert ist.«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann«, sagte er nach einer Weile. »Ich habe nur meine persönliche Sicht. Aber in der täglichen Arbeit, selbst in einer so kleinen und vergleichsweise unbedeutenden Stadt wie Ystad, konnten wir den Unterschied merken. Die Verbrechen häuften sich, und sie änderten sich, wurden immer brutaler und komplexer. Und die Täter kamen plötzlich aus Kreisen, die früher als gutbürgerlich galten. Warum es sich so entwickelt hat, kann ich nicht beantworten.«
»Das erklärt auch nicht, warum wir die weltweit miesesten Ergebnisse aufzuweisen haben«, sagte sie. »Die schwedische Polizei klärt prozentual weniger Verbrechen auf als ihre Kollegen in fast allen anderen Ländern.«
»Sprich mit Björk darüber. Das bereitet ihm schlaflose Nächte. Manchmal glaube ich, daß er den Ehrgeiz hat, ausgerechnet wir in Ystad sollten den Ruf der ganzen schwedischen Polizei retten.«
»Und doch muß es eine Erklärung geben.« Ann-Britt Höglund |145| blieb hartnäckig. »Es kann nicht nur daran liegen, daß die Polizei personell unterbesetzt ist, daß es uns an Reserven fehlt, was immer damit gemeint sein mag.«
»Es ist, als würden zwei Welten aufeinandertreffen«, sagte Wallander. »Wie mir, so wird auch vielen anderen Polizisten bewußt, daß unsere Kenntnisse und Erfahrungen aus einer Zeit stammen, in der alles anders war, die Verbrechen durchschaubarer, die Moral handfest, die Autorität der Polizei unantastbar. In der heutigen Situation wird jedoch ein ganz anderes Wissen, ein ganz anderer Erfahrungsschatz benötigt. Aber darüber
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