Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
nach. »Das wären etwa 150 Kilometer.«
Er sah, daß Nyberg die Stirn runzelte.
»Was ist denn?«
»Hattest du jemals den Verdacht, daß deine altmodische Kraftstoffanzeige nicht richtig funktioniert?«
»Nie. Sie hat immer korrekt angezeigt.«
»Wieviel Liter passen in den Tank?«
»Sechzig.«
»Dann erklär mir, wieso der Tank laut Anzeige nur noch zu einem Viertel voll ist.«
Wallander begriff zuerst nicht, was Nyberg meinte. Dann wurde es ihm schlagartig klar: »Da muß jemand Benzin abgelassen haben. So viel kann der Motor nicht verbraucht haben.«
»Laß uns zehn Meter weiter weggehen. Ich fahre meinen Wagen ein Stück zurück.«
Die Warnlichter an Wallanders Auto blinkten nach wie vor, der Motor tuckerte im Leerlauf. Ein weiteres überlastetes Fahrzeug mit polnischem Nummernschild tauchte auf.
Nyberg kam heran. »Wenn man Kraftstoff abläßt, dann will man Platz für etwas anderes schaffen. Jemand könnte Sprengstoff in den Tank getan haben. Der Zünder ist durch ein Material geschützt, das langsam vom Benzin zerfressen wird, bis es knallt. Sinkt die Anzeige im Leerlauf auf Null?«
»Nicht ganz.«
»Dann schlage ich vor, daß wir den Wagen bis morgen hier stehenlassen. Eigentlich müßten wir die ganze E 65 sperren.«
»Da würde Björk niemals mitmachen«, sagte Wallander. »Außerdem wissen wir nicht, ob wirklich jemand was in den Tank getan hat.«
»Wir brauchen jedenfalls Leute zum Absperren«, sagte Nyberg. »Wir sind wohl noch im Bereich Malmö?«
»Leider«, sagte Wallander. »Aber ich werde anrufen.«
»Meine Handtasche liegt noch im Auto«, sagte Ann-Britt Höglund. »Kann ich sie holen?«
|151| »Nein«, sagte Nyberg. »Sie bleibt, wo sie ist. Und der Motor läuft weiter.«
Ann-Britt Höglund setzte sich wieder in Nybergs Wagen. Wallander wählte die Nummer der Polizei in Malmö. Nyberg stand am Straßenrand und pinkelte. Wallander schaute zum Sternenhimmel hinauf und wartete, bis die Verbindung hergestellt war.
Endlich meldete sich Malmö. Nyberg zog seinen Reißverschluß hoch.
Dann explodierte die Nacht in grellweißem Licht.
Das Telefon flog Wallander aus der Hand.
Es war vier Minuten nach drei Uhr morgens.
|152| 8
Quälende Stille.
Später würde sich Wallander an seine Empfindung im Moment der Explosion erinnern: Es war, als stünde er in einem großen Raum, aus dem der Sauerstoff in Sekundenschnelle herausgepreßt wurde, ein plötzliches Vakuum auf der E 65, mitten in der Novembernacht, ein schwarzes Loch, vor dem sogar der böige Wind für einen Augenblick kapitulierte. In der Erinnerung dehnte sich die Zeit, so daß ihm die Explosion schließlich wie eine Serie von zwar ineinander übergehenden, aber doch deutlich einzeln zu registrierenden Ereignissen erschien.
Am meisten schockierte ihn die Tatsache, daß das Telefon mehrere Meter von ihm entfernt auf dem Asphalt lag. Das war das wirklich Unbegreifliche an der Situation, nicht sein Wagen, der in lodernden Flammen stand und zu schmelzen schien.
Nyberg hatte als einziger reagiert, indem er Wallander mit sich zu Boden zog; vielleicht weil er eine weitere Explosion befürchtete. Ann-Britt Höglund war aus Nybergs Wagen auf die andere Straßenseite gerannt. Möglicherweise hatte sie geschrien. Aber vielleicht war ich es auch selbst, der geschrien hat, oder Nyberg oder keiner von uns, dachte Wallander. Vielleicht war der Schrei nur Einbildung.
Ich hätte es tun sollen, dachte er. Schreien und brüllen und den Wahnsinnseinfall verfluchen, wieder in den Dienst zu gehen. Warum mußte ihn Sten Torstensson in Skagen besuchen und ihn in einen Mordfall hineinziehen, von dem er besser die Finger gelassen hätte? Warum hatte er seine Entlassungspapiere nicht unterschrieben und die Pressekonferenz hinter sich gebracht? Schlimmstenfalls hätte man ein Interview mit ihm als Aufmacher in der schwedischen Polizeizeitschrift gebracht |153| oder vielleicht auch nur auf der Rückseite, aber dann wäre endlich Ruhe gewesen.
In der Verwirrung nach der Explosion hatte es also einen Augenblick quälender Stille gegeben, und klare Gedanken waren Wallander durch den Kopf gegangen, während er das Mobiltelefon auf dem Asphalt liegen sah und sein alter Peugeot am Straßenrand brannte. Eindeutige Gedanken, die miteinander verbunden waren und zu einem Resultat führten, dem Eindruck, daß der Doppelmord an den beiden Anwälten, die in Frau Dunérs Garten vergrabene Mine und schließlich der Mordversuch an ihm und seiner Kollegin ein
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