Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
Staffansson wies auf den Birkenstamm. »Er hat sich sicher an der Astgabel dort abgestützt. So haben wir es uns gedacht. Sonst gab es ja nichts, was er hätte nehmen können.«
Wallander nickte. Aus dem Obduktionsprotokoll ging eindeutig hervor, daß Lars Borman durch Strangulation gestorben war. Der Nackenwirbel war nicht gebrochen. Als die Polizei eintraf, war er höchstens seit einer Stunde tot.
»Sonst erinnerst du dich an nichts?«
»Was meinst du?«
»Das weißt nur du.«
»In solchen Situationen handelt man nach Vorschrift«, sagte Magnus Staffansson. »Man schreibt seinen Bericht, und dann vergißt man das Ganze, so schnell man kann.«
Wallander wußte, wie das war. Selbstmorde erzeugten immer |177| ein beklemmendes Gefühl. Er dachte an all die Fälle, bei denen er sich mit Menschen hatte beschäftigen müssen, die von eigener Hand gestorben waren.
Er überdachte, was Magnus Staffansson gesagt hatte. Es lag wie ein Filter über dem, was er aus dem Bericht herausgelesen hatte.
Dennoch wußte er, daß etwas nicht stimmte.
Selbst wenn die Charakteristik von Lars Borman nicht vollständig war und es vielleicht dunkle Hintergründe gab, so konnte er doch davon ausgehen, daß der Revisor ein Mann war, der seine Handlungen unter Kontrolle hatte. Und dieser Mensch war, nachdem er beschlossen hatte, sein Leben zu beenden, mit dem Fahrrad in ein Wäldchen gefahren, um sich einen für die geplante Tat denkbar ungeeigneten Baum auszusuchen?
Es konnte bei Lars Bormans Tod nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.
Aber noch etwas anderes irritierte ihn.
Erst kam er nicht darauf. Dann blieb er abrupt stehen und starrte auf eine Stelle am Boden, ein paar Meter vom Baum entfernt.
Das Fahrrad, dachte er. Es erzählt eine ganz andere Geschichte.
Magnus Staffansson hatte sich eine Zigarette angezündet und trat von einem Fuß auf den anderen, um sich warm zu halten.
»Das Fahrrad«, sagte Wallander. »Es ist in euren Berichten nicht näher beschrieben.«
»Ein feines Modell«, sagte Magnus Staffansson. »Zehn Gänge, gut gepflegt. Dunkelblau, wenn ich mich recht erinnere.«
»Zeig mir genau, wo es lag.«
Ohne zu zögern, wies Magnus Staffansson auf die Stelle.
»Und wie lag es da?«
»Tja, wie soll man das beschreiben? Es lag eben so auf der Erde.«
»War es vielleicht umgefallen?«
»Nein, die Stütze war nicht ausgeklappt.«
|178| »Bist du sicher?«
Magnus Staffansson überlegte kurz, dann sagte er: »Ja, ich bin sicher.«
»Du meinst also, er hat das Rad einfach so hingeworfen? Wie Kinder, wenn sie es eilig haben?«
Magnus Staffansson nickte. »Genau. Es lag einfach hier auf dem Boden, als hätte er es eilig gehabt, das Ganze hinter sich zu bringen.«
Wallander nickte nachdenklich. »Nur noch eins. Frage bitte deinen Kollegen, ob er bestätigen kann, daß die Stütze am Fahrrad nicht ausgeklappt war.«
»Ist das so wichtig?«
»Ja, viel wichtiger, als du glaubst. Ruf mich an, wenn er es anders in Erinnerung hat.«
»Die Stütze war nicht ausgeklappt«, wiederholte Magnus Staffansson. »Ich bin ganz sicher.«
»Ruf ihn trotzdem an. Ich mach mich wieder auf den Weg. Danke für die Hilfe.«
Wallander fuhr nach Ystad zurück.
Er dachte an Lars Borman, einen Revisor bei der Bezirksbehörde, einen Mann, der sein Fahrrad niemals einfach so auf die Erde geworfen hätte, auch nicht in der äußersten Not.
Ich bin wieder einen Schritt weiter, dachte er. Ich nähere mich einem Ziel, das ich nicht kenne. In der Wand, die Lars Borman und die Anwaltskanzlei in Ystad trennt, muß es einen Riß geben. Den muß ich finden.
Er merkte zu spät, daß er die Stelle passiert hatte, wo sein Wagen ausgebrannt war. In Rydsgård bog er ab und aß im Gasthof zu Mittag. Da die Essenszeit bereits vorüber war, hatte er das Lokal für sich allein. Er beschloß, noch am selben Abend, egal, wie müde er wäre, Linda anzurufen und einen Brief an Baiba zu schreiben.
Kurz vor fünf war er wieder im Polizeigebäude von Ystad. Ebba sagte ihm, daß die Nachmittagsbesprechung ausfallen müsse. Alle waren beschäftigt, niemand hatte Zeit, seinen Kollegen zu erklären, daß es keine neuen Erkenntnisse gab. Sie würden sich am kommenden Morgen um acht treffen.
|179| »Du siehst schlimm aus«, meinte sie besorgt.
»Ich gehe heute zeitig schlafen«, sagte er.
Er betrat sein Büro und schloß die Tür. Auf dem Tisch lagen ein paar Zettel, aber es war nichts dabei, was nicht noch einen Tag warten konnte.
Er hängte die Jacke an
Weitere Kostenlose Bücher