Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
es nicht mehr. Wenn es Zeit war, die Bilder zu den funkelnden Autos zu tragen, tauchte er hinter dem Vorhang auf. Vorsichtig bettete er die Werke des Vaters in den Kofferraum oder auf die Rücksitze. Dies waren Augenblicke von großer Bedeutung, denn manchmal nahm einer der Ritter den Jungen wahr und steckte ihm zerstreut einen ganzen Fünfer in die Tasche. Schließlich stand er mit dem Vater am Tor, und sie sahen die Autos davonbrausen. Wenn sie verschwunden waren, veränderte sich der Vater völlig – schlagartig war die unterwürfige Freundlichkeit verschwunden, er spuckte den Männern hinterher und sagte verächtlich, daß er wieder einmal betrogen worden sei.
Das gehörte zu den großen Rätseln seiner Kindheit: Wie sein Vater sich betrogen fühlen konnte, obwohl er jedesmal ein ganzes Bündel Scheine entgegennahm, im Austausch gegen langweilige Gemälde, die alle gleich aussahen, mit einer Sonne über der Landschaft, die nie untergehen durfte.
Ein einziges Mal hatte er erlebt, daß ein Besuch der fremden Männer anders endete. Es waren zwei Männer, die er nie zuvor gesehen hatte. Aus dem Gespräch, das er aus dem Versteck belauschte, konnte er schließen, daß es sich für den Vater um |183| neue Kunden handelte. Es war ein wichtiger Moment, es war durchaus nicht selbstverständlich, daß sie das Motiv mochten. Dann hatte er wieder eifrig die Bilder zum Auto getragen, diesmal war es ein Dodge; er wußte, wie sich die Kofferräume verschiedener Automobilmarken öffnen ließen. Von den beiden Männern war plötzlich der Vorschlag gekommen, noch gemeinsam essen zu gehen. Er erinnerte sich, daß der eine Anton hieß, der andere hatte einen ausländischen Namen; vielleicht war er Pole. Der Vater und er hatten sich neben die Bilder auf die Rückbank gesetzt und waren mit in den Volkspark gefahren. Im Autoradio sang Johnny Bode. Der Vater ging mit den beiden Männern in eines der Restaurants; er selbst vergnügte sich mit einer Handvoll Kronenmünzen auf dem Rummel. Es war ein warmer Frühsommertag, ein leichter Wind hatte vom Sund her geweht. Er sollte das Geld nicht sparen, sondern sich amüsieren; so überlegte er, wie er es am besten ausgeben konnte. Er war Karussell gefahren und dann zweimal Riesenrad; von ganz oben hatte er bis nach Kopenhagen sehen können. Ab und zu vergewisserte er sich, ob der Vater, der Pole und der Mann namens Anton noch da waren. Aus der Ferne sah er sie am Tisch sitzen, zu dem Gläser, Flaschen, Teller mit Speisen und weiße Servietten gebracht wurden. Auch diesmal war er überzeugt, daß er, wenn er erst die siebente – oder war es die neunte? – Klasse geschafft hätte, wie einer dieser Männer sein würde, die in großen Autos vorfuhren und Kunstmalern Wohltaten erwiesen, indem sie Geldscheine abzählten und auf schmutzige Ateliertische legten.
Es war Abend geworden, in der Nacht würde es wahrscheinlich regnen. Er hatte sich entschieden, noch einmal mit dem Riesenrad zu fahren. Aber es wurde nichts daraus, denn plötzlich geschah etwas, was die Anziehungskraft der Karussells und Tombolas augenblicklich schwinden ließ, und die Leute strömten in Richtung Restaurant. Er hatte sich mitziehen lassen, hatte sich nach vorn gedrängelt und gesehen, was er wohl nie vergessen würde. Auch dieser Augenblick war wie das Überschreiten einer Grenze, von deren Existenz er allerdings noch keine Ahnung hatte, und er begriff, daß das Leben viele |184| verschiedene Grenzen bereithält, die man erst wahrnimmt, wenn man davorsteht.
Etwas geschah – und es war, als explodiere das Weltall. Denn als er sich durch die Menschenmenge gekämpft hatte, entdeckte er seinen Vater, verwickelt in eine schwere Schlägerei mit einem der Seidenritter, mit Kellnern und völlig unbekannten Menschen. Der Tisch war umgestürzt, Gläser und Flaschen zerbrochen; ein Beefsteak mit Sauce und Zwiebelringen klebte am Arm des Vaters, der aus der Nase blutete und wütende Hiebe austeilte. Das Ganze war sehr schnell gegangen; auch er hatte um sich geschlagen und in Angst und Panik den Namen seines Vaters gerufen. Doch plötzlich war alles vorbei, stämmige Ordner mit geröteten Gesichtern und ein paar Polizisten griffen ein und führten seinen Vater zusammen mit Anton und dem Polen ab. Zurück blieb lediglich ein zertrampelter breitkrempiger Hut. Der kleine Kurt wollte hinterherrennen und seinem Vater beistehen, wurde aber abgedrängt. Schließlich stand er weinend am Zaun und sah seinen Vater in einem Polizeiwagen
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