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Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Titel: Wallander 04 - Der Mann, der lächelte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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den Haken und verfaßte einen Bericht über die Ergebnisse des Tages. Nach einer Stunde legte er den Kugelschreiber zur Seite und lehnte sich zurück.
    Jetzt müssen wir den Durchbruch schaffen, dachte er – die Wand abklopfen und den Riß finden.
     
    Er zog sich die Jacke an und wollte das Büro verlassen, als es klopfte und Svedberg eintrat. Wallander merkte sofort, daß etwas passiert war.
    Svedberg war aufgeregt. »Hast du einen Augenblick Zeit?«
    »Was ist los?«
    Svedberg zögerte. Wallander spürte, daß er wütend wurde. »Nun rede endlich. Ich darf doch annehmen, daß du etwas auf dem Herzen hast, wenn du so bei mir reinschneist. Ich bin eigentlich schon auf dem Heimweg.«
    »Du mußt nach Simrishamn fahren«, sagte Svedberg.
    »Warum?«
    »Sie haben angerufen.«
    »Wer hat angerufen?«
    »Die Kollegen.«
    »Die Polizei in Simrishamn? Was wollten sie?«
    Svedberg schien erst Anlauf zu nehmen, bevor er weitersprach. »Sie mußten deinen Vater verhaften.«
    Wallander starrte ihn ungläubig an. »Die Polizei in Simrishamn hat meinen Vater verhaftet? Warum denn das?«
    »Er war offenbar in eine heftige Schlägerei verwickelt.«
    Wallander setzte sich an seinen Schreibtisch. »Noch einmal«, sagte er. »Langsam.«
    »Der Anruf kam vor einer Stunde. Weil du unterwegs warst, haben sie mit mir gesprochen. Sie mußten deinen Vater vor ein paar Stunden festnehmen; er hatte im Laden des staatlichen Alkoholmonopols in Simrishamn eine Prügelei angezettelt. Es |180| soll ziemlich heiß hergegangen sein. Sie merkten erst später, daß es dein Vater war, und riefen hier an.«
    Wallander nickte, ohne ein Wort zu sagen. Dann stand er schwerfällig auf. »Ich fahre hin.«
    »Soll ich mitkommen?«
    »Nein, danke.«
    Wallander verließ das Polizeigebäude. Er war ratlos.
    Eine knappe Stunde später meldete er sich bei der Polizei in Simrishamn.

|181| 9
    Auf der Fahrt nach Simrishamn waren Wallander die Seidenritter in den Sinn gekommen.
    Er hatte sie vor sich gesehen und gedacht, daß es sehr lange her war, seit er sich zuletzt mit ihnen beschäftigt hatte. Einst waren sie ein Teil seiner Welt.
    Kurt Wallander war elf, als sein Vater zuletzt von der Polizei verhaftet worden war. Er erinnerte sich ganz deutlich daran; sie wohnten damals noch in Malmö, und er hatte auf die Festnahme mit einer eigenartigen Mischung aus Scham und Stolz reagiert.
    Damals war der Vater jedoch nicht in eine Schlägerei im Schnapsladen geraten. Damals, das war im Volkspark im Stadtzentrum, an einem Samstag im Frühsommer 1956, und Wallander hatte den Vater und einige seiner Freunde am Abend begleiten dürfen.
    Als er noch ein Kind war, sah er in Vaters Freunden, die in unregelmäßigen Abständen unerwartet zu Besuch in ihr Haus kamen, Männer des großen Abenteuers. Sie glitten in funkelnden amerikanischen Wagen heran, trugen seidene Anzüge und breitkrempige Hüte, an ihren Fingern glänzten schwere Goldringe. Sie besuchten den Vater in dem kleinen Atelier, das nach Terpentin und Ölfarben roch, um sich seine Bilder anzusehen und sie zu kaufen. Manchmal wagte sich der kleine Kurt in das Atelier und versteckte sich beim Gerümpel in der finstersten Ecke hinter einem von Ratten angenagten Vorhang. Gespannt lauschte er dem Gefeilsche, das stets mit Zügen aus der Cognacflasche beendet wurde. Er hatte verstanden, daß es den Männern des großen Abenteuers – den Seidenrittern, wie er sie in seinen heimlichen Tagebüchern nannte – zu verdanken war, wenn zu Hause Essen auf dem Tisch stand. Das waren heilige |182| Augenblicke in seinem Leben, wenn ein Geschäft besiegelt war und die fremden Männer mit ihren ringgeschmückten Fingern in dicken Packen von Geldscheinen blätterten, dünnere Bündel daraus hervorzogen und dem Vater reichten, der sie mit einer Verbeugung in seiner Tasche verschwinden ließ.
    Er konnte sich noch an die Gespräche erinnern, kurze, beinahe gebellte Sätze, lahme Proteste des Vaters, glucksende Laute der Fremden.
    Sieben Landschaften ohne und drei mit Auerhahn, hörte er jemanden sagen. Der Vater stöberte daraufhin in den Stapeln fertiger Bilder, zehn wurden akzeptiert, und dann tanzte das Geld auf dem Tisch. Kurt war elf und stand hinter dem Vorhang, fast benommen vom Terpentin, und dachte, daß er hier das Erwachsenenleben beobachtete; ein Leben, wie es auch ihn erwartete, wenn er die Grenze überschritten hätte, die durch die siebente Klasse der Volksschule markiert wurde. Oder war es da bereits die neunte? Er wußte

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