Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
Vorteil gewesen.«
Wallander sah ein, daß es besser war, das Thema zu wechseln. »Bloß gut, daß dir nichts passiert ist.«
»Man muß seine Ehre verteidigen«, erklärte der Vater. »Die Ehre und den Platz in der Warteschlange. Sonst ist es aus mit einem.«
»Ich hoffe, dir ist klar, daß du mit einer Anzeige rechnen mußt.«
»Ich werde alles abstreiten.«
»Abstreiten? Wie denn? Alle wissen, daß du mit der Schlägerei angefangen hast. Du kannst nichts abstreiten.«
»Ich habe nur meine Ehre verteidigt«, wiederholte der Vater. »Kommt man dafür heutzutage ins Gefängnis?«
»Du kommst nicht ins Gefängnis. Möglicherweise mußt du Schmerzensgeld bezahlen.«
»Das werde ich nicht tun.«
»Dann werde ich das übernehmen. Du hast den Besitzer einer Spedition auf die Nase geschlagen. So einer rächt sich.«
»Man muß seine Ehre verteidigen«, wiederholte der Vater.
Wallander sagte nichts mehr. Kurz darauf erreichten sie das Haus des Vaters in der Nähe von Löderup.
»Sag Gertrud nichts«, bat der Vater, als sie aus dem Auto stiegen. Sein Tonfall war so flehentlich, daß Wallander ins Grübeln kam.
»Ich sage nichts«, versprach er.
Im Jahr zuvor hatte der Vater die Haushaltshilfe geheiratet, die ihn betreute, seit sich abzeichnete, daß er senil zu werden begann. Aber seit er aus seinem isolierten Leben gerissen worden war – sie kam dreimal pro Woche –, hatte sich der Vater verändert, und alle Alterserscheinungen waren wieder verschwunden. Daß sie dreißig Jahre jünger war, spielte gar nicht die entscheidende Rolle. Wallander, der dieser Verbindung zunächst kein Verständnis entgegengebracht hatte, mußte nach und nach einsehen, daß diese Gertrud es ernst meinte. Er |190| wußte nicht viel über sie, nur daß sie aus der Gegend stammte, zwei erwachsene Kinder hatte und seit vielen Jahren geschieden war. Es schien gut mit den beiden zu laufen, und Wallander war manchmal nahe daran, neidisch zu werden. Auch sein eigenes Leben, das ihm immer trister vorkam, hätte eine Haushaltshilfe nötig, jemanden, der sich um ihn kümmerte.
Als sie ins Haus kamen, war Gertrud dabei, die Abendmahlzeit vorzubereiten. Sie war, wie immer, freudig überrascht, ihn zu Besuch zu haben, doch er lehnte mit Hinweis auf berufliche Verpflichtungen ab, zum Essen zu bleiben. Statt dessen ging er mit seinem Vater ins Atelier hinüber, wo sie sich auf einer schmutzigen Kochplatte Kaffee machten.
»Neulich habe ich eins deiner Bilder in einer Wohnung in Helsingborg gesehen«, sagte Wallander.
»Es sind ganz schön viele geworden, im Laufe der Jahre«, erwiderte der Vater.
Die Frage interessierte Wallander. »Wie viele hast du eigentlich gemalt?«
»Wenn ich wollte, könnte ich es ausrechnen. Aber ich will nicht.«
»Es müssen einige tausend sein.«
»Ich will lieber nicht daran denken. Das wäre wie eine Einladung an den Sensenmann.«
Der Kommentar des Vaters wunderte Wallander. Er hatte ihn nie über sein Alter reden hören, noch weniger über den Tod. Ihm wurde bewußt, daß er keine Ahnung hatte, ob sich der Vater vor dem Sterben fürchtete. Nach all diesen Jahren weiß ich eigentlich nichts über meinen Vater, dachte er. Und er weiß vermutlich genausowenig über mich.
Der Vater saß da und sah ihn mit seinen kurzsichtigen Augen an. »Es geht dir also gut. Du bist wieder im Dienst. Als du zuletzt hier warst, bevor du in diese Pension nach Dänemark gefahren bist, hast du erklärt, du würdest bei der Polizei aufhören. Du hast dich also anders entschieden.«
»Es ist etwas passiert«, sagte Wallander ausweichend. Er wollte nicht in eine Diskussion über seinen Beruf gezogen werden, die wie immer im Streit enden würde.
|191| »Ich habe gehört, daß du ein tüchtiger Polizist bist«, sagte der Vater plötzlich.
»Wer sagt das?« fragte Wallander überrascht.
»Gertrud. Sie haben ja in der Zeitung über dich geschrieben. Ich habe es nicht gelesen, aber sie behauptet, da hätte gestanden, du wärst ein tüchtiger Polizist.«
»Die Zeitungen schreiben viel.«
»Ich habe nur wiederholt, was sie gesagt hat.«
»Und was hast du ihr geantwortet?«
»Daß ich dir abgeraten habe. Daß ich immer noch der Meinung bin, du solltest dir einen anderen Beruf suchen.«
»Das werde ich sicher nie tun. Ich bin bald fünfzig. Ich werde mein Leben lang Polizist bleiben.«
Sie hörten Gertrud rufen, daß das Essen fertig sei.
»Ich hätte nicht gedacht, daß du dich noch an Anton und den Polen erinnerst«, sagte der
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